Und, hast du das Frühstück heute morgen überlebt?
Eine doofe Frage, ich weiss. Aber in einer Zeit, in der man nicht mehr weiss, wem man sein Vertrauen schenken kann, darf, soll, beginne ich mich mit komischen Fragen zu beschäftigen:
Was, wenn ich den Bauern im Lande nicht mehr trauen kann, weil sie möglicherweise der Milch ein Gift beisteuern?
Oder wie ist es mit dem Buschauffeur? Wird er mich – allenfalls gar im Schneesturm – sicher ans Ziel bringen?
Und die Autoindustrie: Wer sagt mir, dass mein Neuwagen nicht nach 10’000 Kilometer explodieren wird?
Das Leben ist lebensgefährlich. Ohne Vertrauen überleben wir da nicht lange. Wir alle leben tagtäglich aus dem Vertrauen heraus. Wer nur aus Angst lebt, lebt irgendwann nur noch zurückgezogen in seiner kleinen Welt – oder irgendwann gar nicht mehr.
Ich entscheide schon am Morgen, ob ich mit Vertrauen oder mit Angst in den Tag starten will – vom Lebensgefühl her, aber auch ganz praktisch: Die Milch am Frühstückstisch, daneben liegt die Tageszeitung: Hm, kann ich darauf vertrauen, dass der Journalist über tatsächliche Ereignisse berichtet oder verdreht er Fiktion in Fakten?
Und schon bald geht’s wirklich ans «Läbige»: Wenn ich meine Kinder anderen Menschen anvertraue – vertraue ich da auch wirklich? Oder wenn ich mich selbst den Händen eines Therapeuten anvertraue – vertraue ich darauf, dass mir geholfen wird?
Wer aktiv ins Leben eintaucht, steht andauernd vor der Vertrauensfrage.
Langzeitfolgen des Misstrauens
Es wird derzeit viel über Langzeitfolgen gesprochen – wahlweise meint man damit die Folgen einer Corona-Erkrankung (Long Covid), die vermuteten Folgen einer Impfung oder die psychischen und gesellschaftlichen Folgen von Social Distancing.
Ich frage mich, wie sich die Langzeitfolgen des gegenwärtigen Misstrauens manifestieren werden.
Das Hinterfragen von Autoritätspersonen ist keine neue Erscheinung. Und ich begrüsse, dass man durch verschiedene Strömungen mindestens seit der 68er-Bewegung bis zu «Me too» die Autoritätsgläubigkeit abgelegt hat und man sich bewusst wurde, dass auch die eigenen Idole nicht vor Fehltritten und falschen Entscheidungen gefeit sind.
Doch ich befürchte, dass gerade, wie so oft, das Pendel ins andere Extrem ausschlägt: Während die Verschwörungstheoretiker, für die alle Amtsträger ferngesteuert werden, eine kleine Randerscheinung sind, gibt es mehr und mehr Leute, die nur noch sich selbst trauen.
Und diese Entwicklung scheint mir für ein gesundes Miteinander als Gesellschaft nicht gerade förderlich.
Ich will meiner Nachbarin genauso wie meinen Gemeinderatskollegen, meinen Kindern genauso wie dem Journalisten meiner Lokalzeitung, meinen Freunden genauso wie meinen Ärzten, meinen Mitarbeitenden genauso wie meinem Bundesrat unterstellen, dass sie es grundsätzlich gut mit mir meinen.
In diesem Sinn habe ich diese Woche nach einer Tagung mein Fazit gezogen: Haltung vor Meinung.
Wir können uns in manchem uneinig sein. Und das ist auch völlig okay so. Aber wir sollten dabei Haltung bewahren: Eine Haltung des Vertrauens, des Respekts und des guten Willens.
Man kann das als naiv betrachten. Und tatsächlich wurde mein Vertrauen auch schon hier und da missbraucht.
Doch ich weigere mich in aller Deutlichkeit, all meinen Mitmenschen – ob Nachbarn oder Autoritätspersonen – in einer Haltung des Misstrauens zu begegnen.
Glücksaufgabe
Während der Pandemie ging vieles verloren, was uns als Gemeinschaft zusammenhält. Ich hab das selber in verschiedenen Gremien erlebt. Geselliges Zusammensein oder Networking ohne fixe Agenda fördert unser Miteinander (und unser Vertrauen zueinander) ungleich stärker als Zoom-Meetings.
Auch wenn wir unsere sozialen (physischen) Kontakte in den nächsten Monaten nochmals reduzieren müssen, bitte ich dich: Zieh dich nicht zurück in dein Schneckenhaus! Gib nicht dem Misstrauen gegenüber allen und allem Raum sondern frag dich, wie du dein Leben mit einem gesunden Vertrauen gestalten kannst.