Glücksfaktor Nächstenliebe

Menschen, die freiwillig helfen, mehr spenden und verschenken,
und solche, denen andere vertrauen, diese Menschen sind glücklicher!
Prof. Dr. med. Tobias Esch (in: Die Neurobiologie des Glücks)

Ich zögere: Soll ich im Titel dieses Artikels wirklich Nächstenliebe schreiben? Ist das Wort nicht abgedroschen und allzu „frömmlich“ aufgeladen? Mitmenschlichkeit, Altruismus, Philanthropie oder Wohltätigkeit, ja – aber Nächstenliebe?

Die Neurobiologie und die Positive Psychologie haben Erstaunliches herausgefunden: Gutes tun hilft – und nicht nur dem, dem geholfen wird, sondern auch dem, der hilft! Nun gut, so erstaunlich ist das nun auch wieder nicht. Die Wissenschaft unterstreicht einfach das, was der Theologe durch sein Bibelstudium (und hoffentlich auch durch sein praktisches Handeln) längst weiss: Die Nächstenliebe ist nicht nur ein Gebot Gottes, sie ist auch ein Glücksfaktor, eine zentrale Tugend für ein gelingendes Leben.

Wenn die Bibel sagt: „Geben macht glücklicher als Nehmen“, ist das nicht einfach eine verstaubte, religiöse Lebenshaltung. Es ist nicht weniger als ein gesundheitsförderndes Lebensprinzip, das auch einem Praxistest im 21. Jahrhundert standhält.

Und genau dies bestätigt inzwischen die Wissenschaft. Die Psychologie Professorin Sonja Lyubomirsky sagt dazu in ihrem Buch Glücklich sein folgendes:

Hilfsbereitschaft macht uns also auf vielfältigste Weise glücklicher. Untersuchungen an Freiwilligen haben beispielsweise gezeigt, dass ehrenamtliche Arbeit zu einer Verringerung depressiver Symptome und einem Anstieg des Glücksempfindens, des Selbstwertgefühls und des Gefühls der Beherrschung und Selbstbestimmung führt und ein „Helferhoch“ auslöst.

Glück – für dich und mich

Das sind schlechte Aussichten für Egoisten. Und es kommt noch dicker: „Denn Egoismus wird nicht nachhaltig belohnt, wie wir heute wissen. Benötigt für den langfristigen Erfolg (und biologisch gefördert) wird dagegen Teamfähigkeit, gemeinsame Erfahrungen, wozu Menschen wiederum ermutigt, eingeladen und inspiriert werden müssen“, sagt der Mediziner Tobias Esch im Fachbuch Die Neurobiologie des Glücks.

An dieser Stelle die komplexen Vorgänge zu erläutern, welche durch unsere guten Taten in unserem Gehirn ausgelöst und welche Glückshormone dabei alles ausgeschüttet werden, würde meine Fähigkeiten und den Rahmen dieses Artikels sprengen. Die Tatsache, dass durch praktizierte Mitmenschlichkeit Glücksbote (wie Oxytozin) in unserem Gehirn aktiviert werden, ist mir Motivation genug.

Soviel zu den positiven Nebenwirkungen von gelebter Nächstenliebe. Auf was warten wir noch? Legen wir doch einfach los! Es ist im Grunde ganz einfach:

  • Schenken wir jemandem Zeit: Entlasten wir z.B. junge Eltern indem wir ihnen einen freien Tag ermöglichen und zum Nachwuchs schauen.
  • Schenken wir jemandem Aufmerksamkeit: Haben wir ein offenes Ohr für die Nachbarin, die gerade durch eine schwierige Lebensphase geht.
  • Schenken wir jemandem Beachtung: Ein Lächeln kann viel bewirken, hier eine kleine Liebestat, dort eine kleine (oder grosse) Hilfeleistung.

Da haben wir’s: Nächstenliebe als Glücksfaktor. Ob wir dafür ein weniger verstaubtes Wort wählen oder bei der schlichten Begrifflichkeit der Bibel bleiben, spielt ja eigentlich keine Rolle. Hauptsache man tut es!

PS: Zufälligerweise habe ich den Glücksfaktor Nächstenliebe gerade heute selbst erlebt: Eine kleine, spontane Aufmerksamkeit hat ein mir unbekanntes Paar im Auto und mich selbst mit einem Glücksgefühl beschenkt, als ich einen Brief für sie in den gelben Kasten einwarf… So einfach – und so beglückend!

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Mitmenschen motivieren

Die beste ‎Motivation ist immer noch,
den Menschen ‎Eigenverantwortung zuzugestehen.

(Erich Sixt)

Nach der Frage, wie man sich selbst motivieren kann (Kann Arbeit glücklich machen?), interessiert mich heute die Frage, wie wir andere Menschen motivieren können. Darüber, wie dies bei den Kindern gelingen oder misslingen kann, habe ich mir letzte Woche Gedanken gemacht (So machen Sie Ihre Kinder (un)glücklich!). Doch wie ist es, wenn wir Menschen ausserhalb unserer Familie motivieren wollen? Zum Beispiel als Chef am Arbeitsplatz oder als Trainer am Spielfeldrand, vielleicht auch als Freundin, die ihr wichtige Menschen unterstützen möchte. Und natürlich interessiert mich diese Frage auch als Life-Balance-Coach, der Menschen in ihrer Persönlichkeitsentfaltung begleitet.

Reisebegleiter sein

Beginnen wir doch bei uns selbst: Wann fühlten wir uns von anderen in besonderem Masse motiviert – oder eben auch nicht? Ich erinnere mich an zwei Erlebnisse, die ich alles andere als motivierend empfand. Während meiner Banklehre hatte ich einmal einen Chef, der die Angewohnheit hatte, einfach kommentarlos weitere zu bearbeitende Dossiers auf meinen Schreibtisch zu knallen. Seine Geste und der wachsende Pendenzenberg machten mächtig Druck – schon fast angsteinflössend für einen 19jährigen.

Die zweite Situation war, als ich in jugendlichem Enthusiasmus ein neues Projekt startete und ich mir von einem Unbeteiligten gut gemeinte, aber unverhofft und ungebeten platzierte, mahnende Ratschläge anhören musste.

Zuoberst auf meiner Demotivationsrangliste stehen folglich: Bemutterung (Leute, die meine Situation nicht kennen und sich dennoch kompetent fühlen, mir zu sagen, was ich jetzt zu tun habe), Alibiaufträge (Teamleiter, die einen etwas ausarbeiten lassen und dann doch selber entscheiden) und Herumkommandierung (Chefs, die alles andere als einen partnerschaftlichen Führungsstil haben und darauf warten, dass ich scheitere). Was steht auf Ihrer Liste ganz oben?

Motiviert fühle ich mich, wenn ich als Person ernstgenommen werde. Wenn sich jemand die Mühe macht, mir wirklich zuzuhören und versucht, sich in meine Situation hineinzudenken, ohne vorschnell Lösungen zu präsentieren. Angespornt werde ich auch, wenn mir etwas zugetraut wird. Wenn mir das Gefühl vermittelt wird, dass genau mein Beitrag für das gelingen eines Projektes von entscheidender Bedeutung ist. Und: Mich motiviert, wenn ich in der Umsetzung einer Aufgabe Freiraum und Eigenverantwortung habe. Grundsätzlich tut mir gut, wenn ich Anerkennung für mich als Person und für meine Tätigkeit erhalte.

Obwohl ja jeder Mensch etwas anders tickt, wird das, was mich motiviert, bestimmt auch von vielen anderen als motivierend erlebt. Darum will ich es als Reisebegleiter und nicht als Befehlshaber versuchen. Das Leben ist eine Reise – und jeder reist auf seine Weise. Als Reisebegleiter will ich Menschen auf dieser Reise unterstützen: Was kann ich tun, damit sie an ihr Ziel kommen? Und dort, wo ich für eine Organisation Verantwortung trage, werde ich in gewissen Situationen nicht nur der Begleiter sondern auch der Reiseführer sein, der die gemeinsame Richtung vorgibt. Doch auch da will ich möglichst die Eigenverantwortung aller Beteiligten fördern: Wenn es mir gelingt, Menschen gemäss ihren persönlichen Interessen und Stärken ihren Beitrag leisten zu lassen, habe ich es mit motivierten Mitmenschen zu tun.

Da in meinem Umfeld (gemeinnützige sozial-diakonische Kinder- und Familienanimation) die finanziellen Mittel sehr beschränkt sind, komme ich gar nicht auf die Idee, Menschen rein monetär motivieren zu wollen. Doch selbst wenn das möglich wäre, glaube ich nicht, dass Mitarbeitende oder auch Kunden über finanzielle Reize langfristig zu motivieren sind. Wir müssen einen tieferen Kern in ihnen ansprechen!

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Gemeinsam sind wir stark

Man muss mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten, sie achten und motivieren. Dauerhafter Erfolg ist nur im Team möglich.
Klaus Steilmann

Letzte Woche hatte ich im Rahmen meines Masterstudiengangs die Gelegenheit, an einer Studienreise nach Sheffield GB teilzunehmen. Es war eine schöne und lohnenswerte Reise; und dies nicht nur, weil das Wetter doch um einiges angenehmer war als hierzulande. Sheffield hat einige spannende Gebäude und schöne Plätze zu bieten, doch was die Studienreise vor allem auszeichnete, waren die inspirierende Lerngemeinschaft (gekoppelt an eine grosse Lernbereitschaft) unter uns Studenten und die innovativen Projekte, die wir als Gruppe besuchten.

Die Studienreise hatte zum Ziel, verschiedenste Ausdrucksformen von Kirche kennen zu lernen und diese „Fresh expressions of Church“ zu reflektieren sowie daraus Impulse für die Arbeit in unserem Land zu gewinnen.

Innerhalb der Anglikanischen Kirche gibt es seit rund zehn Jahren unter der Bezeichnung „Fresh expressions of Church“ eine wachsende Bewegung mit vielen kleinen, ermutigenden Initiativen, die zeigen, dass ein Turnaround von einer (aus)sterbenden Kirche zu einer erfrischenden, relevanten Erfahrung von Kirche nicht nur wünschenswert und denkbar, sondern auch möglich ist.

Biker im Talar

Trotz der immensen Unterschiedlichkeit der besuchten Projekte ist uns eine Gemeinsamkeit schnell aufgefallen: Der Teamgedanke. Dies zeigte sich schon nur darin, dass fast alle Projekte von einem Team und nicht von einer Einzelperson vorgestellt wurden.

Einzigartig war das Beispiel von Harry Steele. Er wurde als Pionier in eine sehr traditionelle, schrumpfende Anglikanische Kirche mit katholischer Ausprägung gestellt. Auf den ersten Blick war klar, dass er selbst jedoch alles andere als traditionell ist: Harley Davidson Gurt umgeschnallt, auffallender Schnurbart, lässiger Umgang – ohne „Beweisfotos“ wäre es kaum vorstellbar, dass Harry in einem Talar in einer Kirche steht.

Eindrücklich wird schon vor der Kirche kommuniziert: Hier ist etwas in Bewegung, hier geschieht Veränderung. Dabei geht Harry einerseits konsequent vor, anderseits aber auch behutsam. Man muss zielstrebig losmarschieren und die Leute für einen gemeinsamen Weg gewinnen, aber wenn man eigenmächtig alles umstellt, haben am Ende alle verloren.

Was Harry dabei geholfen hat, eine kleine Veränderung nach der anderen durchzuführen, war das grosse Team, dass ihn auf dieser Reise begleitet. Eine grosse Zahl von Menschen verpflichteten sich, mindestens ein Jahr diesen Weg mitzugehen, egal wie attraktiv oder schwierig es würde. Ganz nach dem Motto: „Was ich alleine nicht schaffe, können wir gemeinsam erreichen.“

Herausgefordert und ermutigt

Die Studienreise war für mich befreiend, ermutigend und herausfordernd gleichzeitig. Und dies hat mit den besuchten Projekten zu tun, zu einem sehr grossen Teil aber auch mit der Gemeinschaft der Mitreisenden. Auch hier wieder der Teamgedanke: Wäre ich alleine auf diese Reise gegangen, hätte ich nicht im selben Mass profitiert. Das Reflektieren, Austauschen und Fragen mit den zwölf andern – als Gesamtgruppe in unserem Seminarraum oder spätabends in kleinen Gruppen im englischen Pub – half, den Transfer in die eigene Situation zu gewährleisten. Schön war auch, dass es nicht einfach beim Theologisieren blieb. Es war eine echte persönliche Anteilnahme an der Situation des anderen spürbar, was sich auch im Gebet füreinander ausdrückte.

Und so nehme ich neben vielem anderem für mich mit: Veränderung geschieht im Team. Bleiben wir Einzelkämpfer, haben wir einen ganz schweren Stand. Doch wenn eine Gemeinschaft von Menschen entsteht, die gerne zusammen ist und sich für ein gemeinsames Ziel engagiert, kann etwas Grossartiges entstehen. – Dies gilt für die Kirche, aber nicht nur! Den Teamgedanken gilt es auch in jedem anderen Arbeitsumfeld und wohl auch in jeder Lebenslage hochzuhalten.

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Gemeinschaftswerk entsteht

Alle großen Errungenschaften beruhen auf einer winzigen Gemeinsamkeit:
dem ersten Schritt.

Paul Wilson

Tja, der erste Schritt von diesem Projekt liegt schon mehr als fünf Jahre zurück. Man könnte sogar noch weiter zurückgehen und sagen, der erste Schritt war der, als ich mich als 20jähriger entschloss, mich in meinem Heimatdorf für die Allgemeinheit zu engagieren (zahlreiche kleinere und grössere Projekte und Gründungen waren die Folge von diesem Entschluss).

Das aktuelle Projekt ist aus mehreren Gründen einmalig: Das ganze Dorf ist beteiligt, ein mustergültige Partizipationsprozess kam in Gang und das Resultat des ersten Schrittes wird konkreter, sichtbarer und nachhaltiger als bei manchen anderen Projekten.

Ein neuer Spiel- und Begegnungsplatz fürs Dorf entsteht

Also, zum ersten Schritt für dieses Projekt: 2008 gründeten wir den gemeinnützigen Verein Happy Kids mit dem Ziel, die Kinder und Familien unseres Dorfes zu unterstützen. Um herauszufinden, wie wir dies am besten könnten, starteten wir eine Bedürfnisanalyse mit einer Umfrage unter Familien. Ein Resultat daraus: Das Spielplatzangebot im Dorf ist ungenügend.

Der erste Schritt war getan. Es folgte eine Unterschriftensammlung. Die Einwohnergemeinde nahm das Anliegen aus der Bevölkerung positiv auf und bald schon wurde eine Kommission damit beauftragt, ein Projekt zu erarbeiten.

Zum Glücksfall für dieses Projekt entpuppte sich, dass wir von Anfang an mit dem richtigen Partner zusammenarbeiteten: Dres Hubacher von der Fachstelle SpielRaum Bern verstand es vom ersten Moment an, bei den Beteiligten ein Feuer der Begeisterung für einen naturnahen und kindergerechten Spielplatz zu zünden.

Von der ersten Idee bis zur Ausführung, die diese Woche in der Mitmachbaustelle gipfelt, verging viel Zeit der Abklärungen, Vorbereitungen und politischen Prozesse.

Vom Modell zur Mitmachbaustelle

Ein erstes Highlight des Projektes war die Modellwoche vor gut zwei Jahren: Schülerinnen und Schüler durften verschiedene Modelle ihres Traumspielplatzes entwickeln. Und hier wurde ein erstes Mal sichtbar, was Dres Hubacher unter Partizipation (Mitwirkung) versteht: Die Ideen der Kinder wurden nicht nur angehört, sie wurden auch ernstgenommen, verstanden und gesammelt. So flossen zahlreiche Wünsche der Kinder in die Planungsphase und werden heute auf dem Spiel- und Begegnungsplatz sichtbar.

Das Projekt hatte einige Hürden zu nehmen. Aber das steht derzeit völlig im Hintergrund. Studen wurde von einer Welle der Begeisterung erfasst, schliesslich ist Mitmachbaustelle. Das heisst: Alle dürfen auf der Baustelle mithelfen und werden so ganz konkret Teil des neuen Spielplatzes. Überall trifft man auf begeisterte Leute: Freiwillige Helfer tun mit Freude mit („Wir haben heute einen Baum gepflanzt!“), die Lehrpersonen sind des Lobes voll („Ich bin richtig ‚high‘!“), die Schülerinnen und Schüler sind voller Stolz („Dank dem Spielplatz ist Studen jetzt berühmt!“) und die Passanten staunen („So gut!“), was da in einem Generationenprojekt am Entstehen ist.

Ein Vorzeige-Projekt

Die Erfahrung zeigt, dass es sich wirklich lohnt, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Es kann richtig Spass machen, Gutes zu tun!

Schon jetzt lassen sich einige Lehren aus diesem Projekt ziehen:

  • Es beginnt wirklich damit, den ersten Schritt zu gehen (siehe Zitat oben).
  • Jammern verändert die Welt nicht: Unbefriedigende Umstände sollen uns zur Aktion bewegen, nicht zum Jammern.
  • Zusammen sind wir stark: Gemeinsam kann Grosses geschaffen werden.
  • Der richtige Partner ist entscheidend: Je grösser eine Idee, umso wichtiger ist es, die richtigen Leute an Bord zu haben.
  • Ausdauer ist gefragt: Von der Ideen zur Umsetzung kann es, wie dieses Beispiel zeigt, gut und gerne mal über fünf Jahre dauern.
  • Partizipation kann gelingen: Mitwirkung kann mehr als eine Alibiübung sein und gleichzeitig aber auch mehr als ein „wildes Durcheinander“.

Als Initiator freu ich mich darauf, wenn wir den Spiel- und Begegnungsplatz einweihen können. Und als Vater freu ich mich natürlich darauf, wenn sich meine Kinder auf dem neuen Spielplatz austoben werden.

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Haben Sie Freunde?

Zwei Freunde müssen sich im Herzen ähneln,
in allem anderen können sie grundverschieden sein.

Sully Prudhomme

Haben Sie Freunde? – Was für eine Frage. Wir sind doch alle ständig umgeben von anderen Menschen, bestimmt haben wir da doch auch den einen oder anderen Freund. Hm, wirklich?

Mit etwa 20 Jahren hatte ich ein spezielles „Einsamkeitserlebnis“. Ich wollte mit einem Freund einen Skitag verbringen. Doch dieser „Freund“ war nicht da. Ich hatte keinen solchen Freund, der mich hätte begleiten können. Also fuhr ich alleine ins Wallis und verbrachte einen doch eher einsamen Tag auf den Skipisten (wenigstens konnte ich mein eigenes Tempo fahren und verbrachte die Zeit auf der Piste nicht mit warten – aber das war irgendwie ein schwacher Trost).

Es ist nicht so, dass ich damals niemand kannte, der gerne Ski fährt. Im Gegenteil: Ich hatte in dieser Phase meines Lebens mit vielen Menschen zu tun, gründete verschiedene Vereine, organisierte Camps und Events, sprach an der 1.-August-Feier in meinem Dorf, schloss meine Banklehre erfolgreich ab…

Was ich sagen will: In diesem Jahr war ich sehr beschäftigt und hatte auch zig „Kollegen“. Aber das Pflegen von Freundschaften blieb auf der Strecke. Ich hatte viel für und mit anderen Menschen getan, aber es blieb kaum mehr Zeit, ein Freund zu sein.

Facebook-Freunde sind zu wenig

Manchmal wünschte ich mir eine „Gang“, mit der ich um die Häuser ziehen könnte. Bei anderen konnte ich solche Freundschaften beobachten: Da war einfach klar, dass man Weekend für Weekend etwas gemeinsam unternehmen würde. Das hatte ich nie. Eine solch zeitintensive Freundschaft passte damals nicht zu meinem Lebensentwurf und würde heute, mit Familie, erst recht nicht passen.

Die Intensität einer Freundschaft hängt jedoch nicht davon ab, wie viel Zeit man miteinander verbringt. Ich kann jederzeit mit anderen im virtuellen oder realen Raum rumhängen und doch keine intensive Beziehung pflegen. Viele Kollegen (oder Facebook-Freunde) zu haben, heisst noch lange nicht, dass man auch einen wahren Freund hat. Einer, der nicht nur die Zeit mit einem verbringt, sondern auch das Leben (oder in Anspielung auf das eingangs erwähnte Zitat: das Herz) mit einem teilt.

Auch heute wünschte ich mir, eher mehr als weniger Zeit für die Freundschaftspflege zu haben. Zum Glück leben meine paar wertvollen Freundschaften nicht davon, wie häufig wir uns sehen. Zu spüren, dass wir, trotz eher wenig Berührungspunkten im täglichen Leben, einander wichtig sind, uns für einander interessieren, uns unterstützen, ermutigen und uns auch mal getrauen, eine kritische Frage zu stellen, bedeutet mir viel.

Wenn Sie einen Skitag einlegen wollten, wen würden Sie mitnehmen? Und würden Sie sich auf dem Sessellift auch Persönliches (aus der Herzgegend) anvertrauen?

Anders gefragt: Haben Sie Freunde?

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

  • Ein erfülltes Leben in Balance ist kein Zufallsprodukt. Um das Leben aktiv zu gestalten, müssen die Weichen entsprechend gestellt werden.
    Haben Sie schon definiert, was in Ihrem Leben welche Priorität haben soll? Wir unterstützen Sie gerne in diesem Prozess: Unsere Coachingangebote
  • Ältere Blogartikel zum Thema Freundschaft: Allein geh ich ein und Freunde tun gut
  • Sie sagen, mir fehlt die Zeit für Freundschaften? Wie wärs mit unserem Motivationstag Mehr Zeit?
  • Angebot für Freundinnen: Besuchen Sie gemeinsam unser Timeout-Weekend für Frauen.

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Respekt! – Ist das zuviel verlangt?

Das Wir wäre ein Vielfaches stärker,
würde das Ich das Du respektieren.
Stefan Gerber

Leider ist es auch in diesen Tagen nicht anders als eigentlich immer: Ein kurzer Blick auf die Schlagzeilen reicht, um zu begreifen, dass es um das Wir (Wir als Gesellschaft/Menschheit) nicht zum Besten steht.

  • Amoklauf in Newtown USA
  • Brutalste Vergewaltigung in Indien
  • Drama in Daillon, Wallis

Es ist müssig darüber zu diskutieren, welche Tat nun wohl die schlimmste sei. Überall, wo andere Menschen gezielt oder wahllos getötet werden, handelt es sich um eine Tragödie und ein Beweis dafür, dass das Wir sehr anfällig ist.

Vielleicht etwas überraschend haben mich zuletzt die Meldungen über Verkehrstote besonders berührt. Möglicherweise weil letzten Monat auch eine Arbeitskollegin meines Bruders in einen solchen Unfall verwickelt war.

Erschrocken bin ich über folgende Kurzmeldung (gelesen in der NZZ am Sonntag, 30. Dezember 2012):

Grausam! Klar, Unfälle und Katastrophen passieren – oft auch ohne fahrlässiges Handeln. Doch da wo Menschenleben einfach weggeworfen wird (Beispiel in Indien), wo das eigene Verhalten Tote in Kauf nimmt (Raser) oder wo gezielt Leben ausgelöscht wird (Daillon und Newtown), frag ich mich schon, ob in unserer Gesellschaft der Respekt vor dem Leben abhandengekommen ist.

Nun gut, man kann wohl einwenden, früher hätte ein Menschenleben noch viel weniger Wert gehabt und der Schutz des Lebens und der Respekt vor dem Individuum sei heute, gerade in der westlichen Kultur, weit fortgeschritten. Doch: Ist nicht jedes Vergewaltigungsopfer eines zu viel? Ist nicht jedes Raseropfer eines zu viel? Ist nicht jeder Getötete einer zu viel?

Wenn das Ich so sehr in den Mittelpunkt gestellt wird, dass dabei das Du nur noch zur Spielfigur des eigenen „Games“ wird, hat die Individualisierung eine zerstörerische Linie überschritten. Die Gesellschaft wird so lebensunfähig.

Auf der anderen Seite: Wenn wir beginnen, das Du mindestens so stark zu beachten und zu respektieren wie das Ich, könnte das Wir an neuer Stärke gewinnen. Nochmals: Es kann doch nicht sein, dass wir so respektlos miteinander umgehen, dass wir (im Extremfall) auch Tote in Kauf nehmen! Das sprichwörtliche „Über Leichen gehen“ wird knallharte Realität – im Strassenverkehr, im Bus, in der Schule, im Quartier.

Wollen wir eine solche Gesellschaft? Es gibt Alternativen! Respekt, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe.

«You & Me» – Du & ich

Ich habe mich in meinem Blog schon im Oktober, noch vor dem grossen Hip, als Fan vom Projekt Heilsarmee rocks Malmö geoutet. Inzwischen hat der Song You & Me die Schweizer Ausscheidung des Eurovision Song Contests gewonnen und die Heilsarmee dadurch mächtig viel Schlagzeilen bekommen. Die Reaktionen reichen von erstaunter Bewunderung bis zu bissigem Zerriss.

Bald wurde über Uniform, Name und darüber, ob wir uns als Schweiz tatsächlich so dem modernen Europa präsentieren wollen, debattiert. Leider habe ich nie davon gelesen oder gehört, dass auch über den Inhalt des Songs nachgedacht wurde. Denn You & Me singt davon, dass wir zusammengehören – und so aus dem Ich und dem Du ein starkes Wir werden kann.

 

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Regeln des Zusammenlebens

Was also einer ist, das hat die Gesellschaft aus ihm gemacht.
August Bebel (1840-1913, deutscher Politiker)

Dieses Zitat entspricht im Grunde überhaupt nicht meiner Überzeugung. Es tönt ja sehr danach, Opfer der gesellschaftlichen Umstände zu sein, während mein Lebens- und Coaching-Ansatz genau in die entgegengesetzte Richtung geht: Mir ist wichtig, dass wir als Gestalter unserer Umstände ein aktive Rolle einnehmen. Es ist ja auch sehr einfach, „der Gesellschaft“ die Verantwortung für das eigene Leben abzugeben und „die anderen“ für mein Glück oder eben Unglück verantwortlich zu machen. Diese Haltung fördert nicht unser Bestes ans Tageslicht.

Auf der anderen Seite habe ich mir in den letzten Wochen schon auch Gedanken darüber gemacht, welche Früchte wir von unserer Gesellschaft erwarten können. Wir Menschen „machen“ ja die Gesellschaft, doch die Umkehrung gilt auch: Die Gesellschaft „macht“ uns Menschen. In diesem Sinn ist die Fragestellung eine doppelte: Was für eine Gesellschaft wollen wir? Und: Was für Menschen gehen aus dieser Gesellschaft heraus, in der wir leben?

An der spannenden Tagung „Gemeinsam handeln“ erinnerte Urs Hofmann, Regierungsrat aus dem Kanton Aargau, kürzlich daran, „dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“. So jedenfalls steht es in der Präambel der Schweizerischen Bundesverfassung. Demnach sind wir als Gesellschaft, als Volk, dann stark und erfolgreich, wenn das Wohlergehen und -befinden auch für den Schwachen möglich ist. Sind das schöne Worte, träumerische Utopien oder  wirklich das, was wir anstreben?

Was für Menschen wollen wir sein?

Eine Gesellschaft, in der sich die eigene Stärke am Wohl der Schwachen misst, orientiert sich an anderen Regeln des Zusammenlebens als eine Gesellschaft, die sich über (unan)ständiges Wachstum, virtuelle Finanzkraft oder exportierten Promis definiert.

Wir haben die Wahl! Jeder von uns setzt seine eigene Prioritätenliste:

  • Selbstverliebtheit – es geht nur um mich.
  • Habgier – ich will alles, was es zu haben gibt.
  • Glanz und Gloria – Hauptsache die Show stimmt.
  • Lustprinzip – ich tu, was grad am meisten Spass verspricht.

Sind das die Werte, die unsere Gesellschaft ausmachen (sollen)? Dass die Früchte einer solchen Gesellschaft höchst individualisierte, narrzistische Menschen sind, wird wohl jedem schnell kar. Da opfern wir „die Schwachen“ damit wir unsere eigenen Bedürfnisse befriedigen können. Sprich: Wir ziehen unser Ding durch, egal was es (den anderen) kostet – ohne Rücksicht auf Verluste.

Was für eine Gesellschaft wollen wir?

Kürzlich durfte ich beim Radio Life Channel eine Serie zu den 10 Geboten mitgestalten. Die Grundidee war: Kann es sein, dass die biblischen zehn Gebote weniger Verbote sind, die uns den Spass am Leben verderben wollen, sondern göttliche Prinzipien und Regeln des Zusammenlebens sind, die uns ein lebenswertes Dasein in Freiheit ermöglichen. Beim Nachdenken über die verschiedenen Gebote war ich aufs Neue fasziniert: Wenn wir uns danach richten würden, könnten wir uns ganz viel Ärger und jede Menge Ängste in unserer Gesellschaft ersparen. Und: Würden wir uns gemeinsam an den göttlichen Geboten orientieren, wären wir auf dem besten Weg, den Vorsätzen aus der Präambel der Bundesverfassung gerecht zu werden.

Was für eine Kraft, was für eine Freiheit, liegt in diesen Regeln des Zusammenlebens. Hier einige daraus:

  • Begehre nicht, was einem anderen gehört.
    Was für eine Freiheit, wenn wir nicht mehr nach dem destruktiven Prinzip des „Vergleicheritis“ leben sondern zufrieden sind mit dem, was wir haben.
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Lüge nicht.
    Wie schön wäre es, wenn wir einfach davon ausgehen könnten, dass wir alle die Wahrheit sagen. Ein offener, ehrlicher und aufrichtiger Umgang miteinander würde so viel einfacher machen.
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Zerstöre keine Ehe.
    Was für ein Stress, wenn wir mit der Angst leben müssen, unser Partner könnte doch noch einen/eine „Bessere“ an Land ziehen. Ist es nicht befreiend zu wissen, dass das Ja zueinander nicht nur ein Provisorium ist?
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Morde nicht.
    Das ist doch in unserer zivilisierten Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Doch wo beginnt das Morden? Schützen wir in unserer Gesellschaft das Leben wirklich?
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Beraube niemand seiner Freiheit.
    Eine Gesellschaft, die frei von Korruption ist sowie die Freiheit und das Eigentum des anderen respektiert, erfreut sich einer hohen Lebensqualität.
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).

Wie gesagt: Wir haben die Wahl! Was für Menschen wollen wir sein und wie wünschen wir uns unsere Gesellschaft? Klar: Wir können nicht den anderen ändern – aber wir können bei uns beginnen!

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

«You & Me» – Du & ich

Der Mensch für sich allein vermag gar wenig
und ist ein verlassener Robinson;
nur in der Gemeinschaft mit den anderen
ist und vermag er viel.

Arthur Schopenhauer, deutscher Philosoph (1788 – 1860)

Das hat Schlagzeile gemacht: Die Heilsarmee will die Schweiz am Eurovision Song Contest 2013 in Malmö vertreten. Unter dem Motto Heilsarmee rocks Malmö wurde ein spannendes Projekt gewagt, das sich sehen lässt: Eingängiger, rockiger Song, ansprechender Text und geniale, originelle Umsetzung. Die Idee hat mich sofort begeistert.

Wenn der 20jährige zusammen mit dem 94 Jahre alten Senior You & Me rockt, dann ist das ein überzeugendes Zeichen, dass hier tatsächlich gelebt wird, was im Song beschrieben wird: „Verkündet von nah und fern wie es eigentlich gemeint ist: wir gehören zusammen, du und ich.“ Würde das irgendeine Babyface-Boygroup, zusammengestellt durch eine Castingshow, vom süffisant lächelnden Dieter Bohlen angepriesen, singen, wäre es ein nettes Liedchen rund um kuschelige Harmonie, die wohl schon hinter der Bühne vorbei wäre. Aber so – die Heilsarmee, eine Marke die für Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Engagement für die Gesellschaft steht, eine Band, die ausstrahlt, was sie singt und dadurch authentisch wirkt, ein Song, der deutliches Ohrwurmpotenzial hat – mir gefällt dieser Mix.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=FKbzOIab0yM[/youtube]

Der von der erfolgreichsten Musikproduzentin der Schweiz, Hitmill, produzierte Song You & Me besingt nicht einfach eine heile Welt, die mit unserer Realität nichts zu tun hat. Im Gegenteil. Der Anfang ist ganz schön gesellschaftskritisch, wenn es da heisst: „Wenn die Zeiten rauer werden und Gold und Silber zu Staub zerfallen. Wenn Menschen aus Eifersucht und Hass Barrikaden bauen.“  

Und so wird das Heilsarmee-Projekt zum eindrücklichen und glaubwürdigen Aufruf an uns alle: Lassen wir die Barrikaden einstürzen und suchen stattdessen das Verbindende zwischen dir und mir. Nicht Barrikaden aus Eifersucht und Hass, aber auch nicht Gold und Silber, sind die Dinge, die uns als Menschen weiterbringen. Was wir brauchen, sind Brückenbauer, Menschen, die sich statt Fäuste offene Hände entgegenstrecken. Wir brauchen Menschen, die verbindend wirken. Zum Beispiel genau wie diese Heilsarmee-Band: Eine Verbindung zwischen Generationen herstellen. Oder: Eine Verbindung zwischen arm und reich, In- und Ausländer, gesund und krank, stark und schwach…

You & Me – du & ich. Wie können wir gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Ort etwas mehr Lebensqualität für uns alle bietet?

Mir selbst wurde letzte Woche aufs Neue bewusst, dass ich etwas habe (ich weiss selbst nicht wirklich, was es ist), dass ich zu geben habe. In unserer sozial-diakonischen Kinder- und Familienanimation hatten wir die vier schönsten Tage im Vereinsjahr, die Happy Kids Days. Als Organisator und Verantwortlicher fürs Mitarbeiterteam bin ich in dieser Kinderwoche oft eher im Hintergrund. Doch die Kids geniessen es, wenn ich mich direkt mit ihnen abgebe. „Irgendetwas“ scheint anzukommen, wenn ich mich mit dem Einzelnen beschäftige. Ich werde zum Kumpel und zum Vorbild.

Diese Erfahrung zusammen mit dem Heilsarmee-Song spricht zu mir: Ja, ich will mich für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft engagieren. Ich will mich nicht mit „Bürokram“ vollstopfen, mich nicht endlos um Silber und Gold drehen und schon gar nicht Barrikaden aus Hass und Eifersucht aufrichten.

You & Me – du & ich. Wir können einen Unterschied in dieser Gesellschaft machen. Packen wir es an!

Und übrigens: Ein erster, einfacher Schritt könnte ja sein, in der Vorausscheidung für den Song der Heilsarmee zu stimmen. Wie hat es Georg Schlunegger von Hitmill treffend gesagt: „Wenn Zero Points, dann wenigstens für einen guten Zweck.“

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

 

Wir sind neutral

Naturwissenschaftler wissen genau, wie zwei Atome in einem Molekül zusammengehalten werden. Was aber hält unsere Gesellschaft zusammen?
Elisabeth Noelle-Neumann

Wir Schweizer sind neutral. So neutral, dass wir hin und wieder unsere eigenen Wurzeln vergessen und stolz unsere Meinungslosigkeit demonstrieren. Man ist neutral, politisch korrekt und hält sich mit seinen eigenen Überzeugungen, falls man denn lauter Neutralität noch eine hat, zurück. Dies gilt besonders, wenn es ums Religiöse geht.

Unsere Gesellschaft braucht Leute, die sich engagieren. Menschen, die bereit sind, ans grosse Ganze zu denken und nicht nur ihren eigenen Vorteil suchen. Ich vermute, dass es gerade solche engagierte Personen sind, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ein weiser Mann hat mir einmal gesagt: „Wer sich einsetzt, setzt sich aus.“ Wer sich engagiert – und sich dabei möglicherweise von seinen starken Überzeugungen leiten lässt – wird so zur Bedrohung für das neutrale System.

Es fällt auf, dass in regelmässigen Abständen Menschen, die sich zum Wohl unserer Gesellschaft einsetzen, Medienkritik auf sich ziehen. Nicht selten werden Personen aus kirchlichen, besonders freikirchlichen, Kreisen verdächtigt, ihr soziales Engagement nicht neutral auszuüben. Da hatte man Angst davor, dass Lehrpersonen aufgrund ihres Glaubens einen schlechten Einfluss auf die Kinder ausüben könnten. Dann standen christliche Hilfswerke wie die Heilsarmee in der Kritik, wenn sie vom Staat Aufgaben (zum Beispiel im Bereich der Migration und Integration) übernahmen. Und letzten Sonntag las ich nun in der NZZ am Sonntag von einem Freund von mir, der dem Jugendtreff in Aarburg zu neuem Leben verhalf. Als Jugendpastor einer Freikirche steht er natürlich unter besonderer Beobachtung, wenn er nun eine Aufgabe übernimmt, welche die politische Gemeinde scheinbar nicht mehr selbst ausfüllen kann (oder will). Und schon wird da eine Psychologin zitiert: „Ich finde das problematisch.“

Im nächsten Satz sagt Psychologin Regina Spiess: „Das Ziel guter Jugendarbeit ist unter anderem, Jugendliche in ihrer Entwicklung und Identitätsfindung zu unterstützen.“ Und genau das können eben Menschen mit einer starken (Glaubens)Überzeugung nicht. Erstens glaub ich nicht, dass ein neutrales, meinungsloses Wesen den Jugendlichen in der Entwicklung und Identitätsfindung eine grosse Hilfe ist. Und zweitens sind Bio-Ideologen, Umweltschützer oder Sportbegeisterte genauso wenig neutral wie religiöse Menschen. Das neutrale Schulzimmer gibt es nicht – ausser vielleicht, wir lassen unsere Kinder von Computern unterrichten. Aber ob dies ihrer Entwicklung und Identitätsfindung wirklich dienlich wäre…

Wir tragen stolz das Schweizer Kreuz auf unserer Brust – aber wehe, wir sehen in diesem Kreuz ein Symbol für unsere Wurzeln und das Glaubensfundament, das unser Land viele Jahre getragen hat. Es ist mir völlig klar, dass es in jedem Lager (ob religiös, bio oder feministisch) Fanatiker gibt. Aber dass man ausgerechnet bei denen, die sich auf die christliche Tradition unseres Landes besinnen und sich nach bestem Wissen und Gewissen für unsere Gesellschaft engagieren wollen, eine unverhältnismässig grosse Gefahr wittert, macht mich traurig, ärgerlich und betroffen – weil ich auch persönlich betroffen bin.

Nein, ich bin in vielerlei Hinsichten nicht neutral – weil ich tatsächlich zu vielem eine eigene Meinung habe. Doch das Gebot der Nächstenliebe lehrt mich, den anderen mit seiner Meinung zu respektieren, akzeptieren und wertzuschätzen. Und so kann jeder, ob noch jugendlich oder doch schon etwas älter, in seiner Identitätsfindung entscheiden, in welche Richtung er sich entwickeln will.

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Kranke Gesellschaft?

Ohne Vision verliert eine Gesellschaft jeden Halt.
Glücklich ist, wer sich an die göttlichen Prinzipien hält.

frei nach König Salomo

Noch nie lebte der Mensch in so grosser Freiheit wie heute. Und noch nie war der Mensch so sehr überfordert im Umgang mit dieser Freiheit.

Zu diesem Schluss kam ich jedenfalls, als ich den Artikel „Die neuen Gebote“ in der NZZ am Sonntag vom 8. Juli 2012 las:

„Dabei wären wir doch so frei wie nie. Dürfen tun, sagen und glauben, was wir wollen, egal ob wir arm sind oder reich, Frauen oder Männer. Und trotzdem oder gerade deshalb hängen sich so viele an die Lippen von Ratgebern wie Kinder an die Rockzipfel ihrer Mamis, um auszusehen, wie alle aussehen, das zu tun, was alle tun, die ewiggleichen Sätze zu sagen und sich in abgeschaute Posen zu werfen.“

Trotz grosser Freiheit und schier unendlichen Wahlmöglichkeiten findet sich die Gesellschaft mit einem „Darfmanitis“-Problem wieder und weil es kaum mehr allgemein gültige Normen oder gemeinsame Werte gibt, wird auch die Orientierungslosigkeit grösser und grösser: Darf man das? Muss man dies? Kann man jenes?

Mir scheint das krankhaft: Die Individualisierung wird bis zum Narzissmus ausgereizt (die Welt um mich herum existiert, damit es mir gut geht) und der Sinn fürs Gemeinwohl sinkt auf ein gefährliches Niveau ab. Gleichzeitig ist die Angst, sich zu blamieren oder irgendwie unangemessen anders zu sein, so gross, dass man dem Diktat der Gesellschaft folgt, statt mutig den eigenen Weg zu entdecken und zu gestalten.

Nochmals eine Perle aus dem oben erwähnten Artikel von Carole Koch:

„Man macht Karriere, kleidet sich stilgerecht, ist fit, turnt Yoga, beisst in Biogemüse, meditiert, trennt Abfall, kauft Versicherungen, kauft Autos, kauft Möbel, macht Kinder, wird alt und fett und glücklich, unbedingt. Im Grunde wollen alle das, was schon immer alle wollten: sein wie die anderen.“

Doch hier liegt die Herausforderung: Da es immer weniger allgemein akzeptierte und verbindlich gelebte Werte gibt, ist überhaupt nicht klar, „wie man zu leben hat“. Diese Orientierungslosigkeit führt dazu, dass die unterschiedlichsten – seriösen und weniger seriösen – Ratgeber aufgesucht werden, um Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen.

Dass man sich mit den Fragen der Lebensgestaltung, ja mit den Fragen des Lebens überhaupt, an eine Drittperson wendete, finde ich zunächst sehr sinnvoll. Die Frage ist nur, von wo man sich Hilfe erhofft und wie diese Hilfe aussieht. Nicht selten wird nämlich die persönliche Freiheit aufgegeben und man tritt in eine (unbewusste) Abhängigkeit eines esoterischen Lehrers, religiösen Führers oder unseriösen Therapeuten. Auch die Meinung eines Stilberaters kann abhängig machen.

Unsere Gesellschaft krankt daran, dass sich jeder selbst verwirklichen will, aber keiner Verantwortung übernehmen will. Selbst die Verantwortung für das eigene Leben legt man lieber in die Hände eines Beraters, der uns sagt, wo’s lang geht. Beim Nachdenken übers Leben, beim Reflektieren des eigenen Weges kann die Unterstützung eines Freundes oder Beraters eine grosse Hilfe sein. Aber die Verantwortung fürs eigene Leben sollte man nicht delegieren – weder an die Gesellschaft noch an einen Therapeuten und schon gar nicht an einen Guru.

Als Coach ist es mir wichtig, Menschen zu ermutigen, ihren persönlichen Weg zu entdecken und zu gestalten – unabhängig von dem, was gesellschaftlich erwartet wird. Und als Theologe ist es mir wichtig, Menschen zu ermutigen, sich an den göttlichen Prinzipien zu orientieren – weil in diesen alten Wahrheiten eine grosse Kraft steckt.

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.