Gemeinschaftswerk entsteht

Alle großen Errungenschaften beruhen auf einer winzigen Gemeinsamkeit:
dem ersten Schritt.

Paul Wilson

Tja, der erste Schritt von diesem Projekt liegt schon mehr als fünf Jahre zurück. Man könnte sogar noch weiter zurückgehen und sagen, der erste Schritt war der, als ich mich als 20jähriger entschloss, mich in meinem Heimatdorf für die Allgemeinheit zu engagieren (zahlreiche kleinere und grössere Projekte und Gründungen waren die Folge von diesem Entschluss).

Das aktuelle Projekt ist aus mehreren Gründen einmalig: Das ganze Dorf ist beteiligt, ein mustergültige Partizipationsprozess kam in Gang und das Resultat des ersten Schrittes wird konkreter, sichtbarer und nachhaltiger als bei manchen anderen Projekten.

Ein neuer Spiel- und Begegnungsplatz fürs Dorf entsteht

Also, zum ersten Schritt für dieses Projekt: 2008 gründeten wir den gemeinnützigen Verein Happy Kids mit dem Ziel, die Kinder und Familien unseres Dorfes zu unterstützen. Um herauszufinden, wie wir dies am besten könnten, starteten wir eine Bedürfnisanalyse mit einer Umfrage unter Familien. Ein Resultat daraus: Das Spielplatzangebot im Dorf ist ungenügend.

Der erste Schritt war getan. Es folgte eine Unterschriftensammlung. Die Einwohnergemeinde nahm das Anliegen aus der Bevölkerung positiv auf und bald schon wurde eine Kommission damit beauftragt, ein Projekt zu erarbeiten.

Zum Glücksfall für dieses Projekt entpuppte sich, dass wir von Anfang an mit dem richtigen Partner zusammenarbeiteten: Dres Hubacher von der Fachstelle SpielRaum Bern verstand es vom ersten Moment an, bei den Beteiligten ein Feuer der Begeisterung für einen naturnahen und kindergerechten Spielplatz zu zünden.

Von der ersten Idee bis zur Ausführung, die diese Woche in der Mitmachbaustelle gipfelt, verging viel Zeit der Abklärungen, Vorbereitungen und politischen Prozesse.

Vom Modell zur Mitmachbaustelle

Ein erstes Highlight des Projektes war die Modellwoche vor gut zwei Jahren: Schülerinnen und Schüler durften verschiedene Modelle ihres Traumspielplatzes entwickeln. Und hier wurde ein erstes Mal sichtbar, was Dres Hubacher unter Partizipation (Mitwirkung) versteht: Die Ideen der Kinder wurden nicht nur angehört, sie wurden auch ernstgenommen, verstanden und gesammelt. So flossen zahlreiche Wünsche der Kinder in die Planungsphase und werden heute auf dem Spiel- und Begegnungsplatz sichtbar.

Das Projekt hatte einige Hürden zu nehmen. Aber das steht derzeit völlig im Hintergrund. Studen wurde von einer Welle der Begeisterung erfasst, schliesslich ist Mitmachbaustelle. Das heisst: Alle dürfen auf der Baustelle mithelfen und werden so ganz konkret Teil des neuen Spielplatzes. Überall trifft man auf begeisterte Leute: Freiwillige Helfer tun mit Freude mit („Wir haben heute einen Baum gepflanzt!“), die Lehrpersonen sind des Lobes voll („Ich bin richtig ‚high‘!“), die Schülerinnen und Schüler sind voller Stolz („Dank dem Spielplatz ist Studen jetzt berühmt!“) und die Passanten staunen („So gut!“), was da in einem Generationenprojekt am Entstehen ist.

Ein Vorzeige-Projekt

Die Erfahrung zeigt, dass es sich wirklich lohnt, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Es kann richtig Spass machen, Gutes zu tun!

Schon jetzt lassen sich einige Lehren aus diesem Projekt ziehen:

  • Es beginnt wirklich damit, den ersten Schritt zu gehen (siehe Zitat oben).
  • Jammern verändert die Welt nicht: Unbefriedigende Umstände sollen uns zur Aktion bewegen, nicht zum Jammern.
  • Zusammen sind wir stark: Gemeinsam kann Grosses geschaffen werden.
  • Der richtige Partner ist entscheidend: Je grösser eine Idee, umso wichtiger ist es, die richtigen Leute an Bord zu haben.
  • Ausdauer ist gefragt: Von der Ideen zur Umsetzung kann es, wie dieses Beispiel zeigt, gut und gerne mal über fünf Jahre dauern.
  • Partizipation kann gelingen: Mitwirkung kann mehr als eine Alibiübung sein und gleichzeitig aber auch mehr als ein „wildes Durcheinander“.

Als Initiator freu ich mich darauf, wenn wir den Spiel- und Begegnungsplatz einweihen können. Und als Vater freu ich mich natürlich darauf, wenn sich meine Kinder auf dem neuen Spielplatz austoben werden.

 

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Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Chips oder Brokkoli? – oder beides?

Es ist besser, mit guten Freunden Chips zu futtern,
als alleine Brokkoli zu essen.
John Ortberg

Anfangs dieser Woche hatte ich die Gelegenheit, mit meinem Vater und meinem Bruder in die Berge zu fahren. Wir genossen zwei wunderschöne Skitage. Besonders am frühen Morgen, als die Pisten noch leer waren, gab es für uns leidenschaftliche Skifahrer kein Halten mehr: Noch bevor die Bergbahn um 8.15 Uhr ihren Betrieb aufnahm, standen wir bei der Talstation bereit um dann, endlich oben angekommen, in hohem Tempo grosse Kurven in den Schnee zu ziehen. Es war herrlich.

Zu einem solchen Papa-Söhne-Trip gehört es natürlich auch, dass wir uns abends in einem Restaurant kulinarisch verwöhnen liessen. Da spielte sich an einem Abend vor unseren Augen eine sehr skurrile Szene ab: Während wir die Gemeinschaft genossen und zusammen lachten, sassen im Speisesaal verteilt etwa sechs Männer, die alle für sich alleine an einem Tisch sassen und mehr oder weniger leidenschaftlich in ihrem Brokkoli herumstocherten. (Kein Witz: Das Zitat oben könnte nicht passender sein: Die Herren bekamen tatsächlich Brokkoli serviert!)

Es gehört ja beides zu einem gesunden Leben: Freundschaften pflegen, Gemeinschaft geniessen, aber eben auch Momente des Rückzugs, der Stille, des Alleinseins, ja, in einem guten Sinn auch Momente der Einsamkeit. Wer sich alleine nicht aushält, ist auch in der Gemeinschaft kaum auszuhalten. Doch diese Männer im Speisesaal sahen nicht wirklich so aus, als würden sie gerade das Alleinsein geniessen. Da sassen zwei Männer Rücken an Rücken – und der Betrachter dieser Situation bekam den Eindruck nicht los, dass es sich hier eher um eine unfreiwillige, vielleicht sogar quälende Einsamkeit als um einen selbstgewählten Rückzug in die Stille handelte.

Befristete, selbstgewählte Einsamkeit kann etwas Heilsames haben. In der Stille begegne ich mir und vielleicht auch meinem Schöpfer. Ich kann mein Alltagsleben reflektieren und in der Ruhe neue Kraft tanken.

Doch alleine durchs Leben zu gehen, ohne Freunde an der Seite, ohne Gemeinschaft, ist eine ungesunde Sache. Im empfehlenswerten Buch Jeder ist normal, bis du ihn kennen lernst von John Ortberg habe ich das obige Zitat gefunden. Ortberg schreibt darin zu einem Harvard-Forschungsprojekt im Zusammenhang mit Beziehungen folgende Zeilen:

Die Forscher fanden heraus, dass Menschen, die am stärksten von anderen isoliert lebten, eine dreimal so hohe Sterblichkeitswahrscheinlichkeit hatten wie Menschen, die intensiv in Beziehungen eingebunden waren.

Menschen mit ungesunden Lebensgewohnheiten (Rauchen, schlechte Essgewohnheiten, Fettleibigkeit oder übermässiger Alkoholgenuss), die aber sozial stark eingebunden waren, lebten deutlich länger als Menschen mit einem gesunden Lebensstil, die aber einsam lebten.

Oder eben: „Es ist besser, mit guten Freunden Chips zu futtern, als alleine Brokkoli zu essen.“ Ich bin dankbar, habe ich ein paar Freunde, mit denen ich Chips futtern kann. Aber mit Freunden schmeckt sogar der Brokkoli gut.

 

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Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Haben Sie Freunde?

Zwei Freunde müssen sich im Herzen ähneln,
in allem anderen können sie grundverschieden sein.

Sully Prudhomme

Haben Sie Freunde? – Was für eine Frage. Wir sind doch alle ständig umgeben von anderen Menschen, bestimmt haben wir da doch auch den einen oder anderen Freund. Hm, wirklich?

Mit etwa 20 Jahren hatte ich ein spezielles „Einsamkeitserlebnis“. Ich wollte mit einem Freund einen Skitag verbringen. Doch dieser „Freund“ war nicht da. Ich hatte keinen solchen Freund, der mich hätte begleiten können. Also fuhr ich alleine ins Wallis und verbrachte einen doch eher einsamen Tag auf den Skipisten (wenigstens konnte ich mein eigenes Tempo fahren und verbrachte die Zeit auf der Piste nicht mit warten – aber das war irgendwie ein schwacher Trost).

Es ist nicht so, dass ich damals niemand kannte, der gerne Ski fährt. Im Gegenteil: Ich hatte in dieser Phase meines Lebens mit vielen Menschen zu tun, gründete verschiedene Vereine, organisierte Camps und Events, sprach an der 1.-August-Feier in meinem Dorf, schloss meine Banklehre erfolgreich ab…

Was ich sagen will: In diesem Jahr war ich sehr beschäftigt und hatte auch zig „Kollegen“. Aber das Pflegen von Freundschaften blieb auf der Strecke. Ich hatte viel für und mit anderen Menschen getan, aber es blieb kaum mehr Zeit, ein Freund zu sein.

Facebook-Freunde sind zu wenig

Manchmal wünschte ich mir eine „Gang“, mit der ich um die Häuser ziehen könnte. Bei anderen konnte ich solche Freundschaften beobachten: Da war einfach klar, dass man Weekend für Weekend etwas gemeinsam unternehmen würde. Das hatte ich nie. Eine solch zeitintensive Freundschaft passte damals nicht zu meinem Lebensentwurf und würde heute, mit Familie, erst recht nicht passen.

Die Intensität einer Freundschaft hängt jedoch nicht davon ab, wie viel Zeit man miteinander verbringt. Ich kann jederzeit mit anderen im virtuellen oder realen Raum rumhängen und doch keine intensive Beziehung pflegen. Viele Kollegen (oder Facebook-Freunde) zu haben, heisst noch lange nicht, dass man auch einen wahren Freund hat. Einer, der nicht nur die Zeit mit einem verbringt, sondern auch das Leben (oder in Anspielung auf das eingangs erwähnte Zitat: das Herz) mit einem teilt.

Auch heute wünschte ich mir, eher mehr als weniger Zeit für die Freundschaftspflege zu haben. Zum Glück leben meine paar wertvollen Freundschaften nicht davon, wie häufig wir uns sehen. Zu spüren, dass wir, trotz eher wenig Berührungspunkten im täglichen Leben, einander wichtig sind, uns für einander interessieren, uns unterstützen, ermutigen und uns auch mal getrauen, eine kritische Frage zu stellen, bedeutet mir viel.

Wenn Sie einen Skitag einlegen wollten, wen würden Sie mitnehmen? Und würden Sie sich auf dem Sessellift auch Persönliches (aus der Herzgegend) anvertrauen?

Anders gefragt: Haben Sie Freunde?

 

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  • Ein erfülltes Leben in Balance ist kein Zufallsprodukt. Um das Leben aktiv zu gestalten, müssen die Weichen entsprechend gestellt werden.
    Haben Sie schon definiert, was in Ihrem Leben welche Priorität haben soll? Wir unterstützen Sie gerne in diesem Prozess: Unsere Coachingangebote
  • Ältere Blogartikel zum Thema Freundschaft: Allein geh ich ein und Freunde tun gut
  • Sie sagen, mir fehlt die Zeit für Freundschaften? Wie wärs mit unserem Motivationstag Mehr Zeit?
  • Angebot für Freundinnen: Besuchen Sie gemeinsam unser Timeout-Weekend für Frauen.

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Respekt! – Ist das zuviel verlangt?

Das Wir wäre ein Vielfaches stärker,
würde das Ich das Du respektieren.
Stefan Gerber

Leider ist es auch in diesen Tagen nicht anders als eigentlich immer: Ein kurzer Blick auf die Schlagzeilen reicht, um zu begreifen, dass es um das Wir (Wir als Gesellschaft/Menschheit) nicht zum Besten steht.

  • Amoklauf in Newtown USA
  • Brutalste Vergewaltigung in Indien
  • Drama in Daillon, Wallis

Es ist müssig darüber zu diskutieren, welche Tat nun wohl die schlimmste sei. Überall, wo andere Menschen gezielt oder wahllos getötet werden, handelt es sich um eine Tragödie und ein Beweis dafür, dass das Wir sehr anfällig ist.

Vielleicht etwas überraschend haben mich zuletzt die Meldungen über Verkehrstote besonders berührt. Möglicherweise weil letzten Monat auch eine Arbeitskollegin meines Bruders in einen solchen Unfall verwickelt war.

Erschrocken bin ich über folgende Kurzmeldung (gelesen in der NZZ am Sonntag, 30. Dezember 2012):

Grausam! Klar, Unfälle und Katastrophen passieren – oft auch ohne fahrlässiges Handeln. Doch da wo Menschenleben einfach weggeworfen wird (Beispiel in Indien), wo das eigene Verhalten Tote in Kauf nimmt (Raser) oder wo gezielt Leben ausgelöscht wird (Daillon und Newtown), frag ich mich schon, ob in unserer Gesellschaft der Respekt vor dem Leben abhandengekommen ist.

Nun gut, man kann wohl einwenden, früher hätte ein Menschenleben noch viel weniger Wert gehabt und der Schutz des Lebens und der Respekt vor dem Individuum sei heute, gerade in der westlichen Kultur, weit fortgeschritten. Doch: Ist nicht jedes Vergewaltigungsopfer eines zu viel? Ist nicht jedes Raseropfer eines zu viel? Ist nicht jeder Getötete einer zu viel?

Wenn das Ich so sehr in den Mittelpunkt gestellt wird, dass dabei das Du nur noch zur Spielfigur des eigenen „Games“ wird, hat die Individualisierung eine zerstörerische Linie überschritten. Die Gesellschaft wird so lebensunfähig.

Auf der anderen Seite: Wenn wir beginnen, das Du mindestens so stark zu beachten und zu respektieren wie das Ich, könnte das Wir an neuer Stärke gewinnen. Nochmals: Es kann doch nicht sein, dass wir so respektlos miteinander umgehen, dass wir (im Extremfall) auch Tote in Kauf nehmen! Das sprichwörtliche „Über Leichen gehen“ wird knallharte Realität – im Strassenverkehr, im Bus, in der Schule, im Quartier.

Wollen wir eine solche Gesellschaft? Es gibt Alternativen! Respekt, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe.

«You & Me» – Du & ich

Ich habe mich in meinem Blog schon im Oktober, noch vor dem grossen Hip, als Fan vom Projekt Heilsarmee rocks Malmö geoutet. Inzwischen hat der Song You & Me die Schweizer Ausscheidung des Eurovision Song Contests gewonnen und die Heilsarmee dadurch mächtig viel Schlagzeilen bekommen. Die Reaktionen reichen von erstaunter Bewunderung bis zu bissigem Zerriss.

Bald wurde über Uniform, Name und darüber, ob wir uns als Schweiz tatsächlich so dem modernen Europa präsentieren wollen, debattiert. Leider habe ich nie davon gelesen oder gehört, dass auch über den Inhalt des Songs nachgedacht wurde. Denn You & Me singt davon, dass wir zusammengehören – und so aus dem Ich und dem Du ein starkes Wir werden kann.

 

 

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Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Regeln des Zusammenlebens

Was also einer ist, das hat die Gesellschaft aus ihm gemacht.
August Bebel (1840-1913, deutscher Politiker)

Dieses Zitat entspricht im Grunde überhaupt nicht meiner Überzeugung. Es tönt ja sehr danach, Opfer der gesellschaftlichen Umstände zu sein, während mein Lebens- und Coaching-Ansatz genau in die entgegengesetzte Richtung geht: Mir ist wichtig, dass wir als Gestalter unserer Umstände ein aktive Rolle einnehmen. Es ist ja auch sehr einfach, „der Gesellschaft“ die Verantwortung für das eigene Leben abzugeben und „die anderen“ für mein Glück oder eben Unglück verantwortlich zu machen. Diese Haltung fördert nicht unser Bestes ans Tageslicht.

Auf der anderen Seite habe ich mir in den letzten Wochen schon auch Gedanken darüber gemacht, welche Früchte wir von unserer Gesellschaft erwarten können. Wir Menschen „machen“ ja die Gesellschaft, doch die Umkehrung gilt auch: Die Gesellschaft „macht“ uns Menschen. In diesem Sinn ist die Fragestellung eine doppelte: Was für eine Gesellschaft wollen wir? Und: Was für Menschen gehen aus dieser Gesellschaft heraus, in der wir leben?

An der spannenden Tagung „Gemeinsam handeln“ erinnerte Urs Hofmann, Regierungsrat aus dem Kanton Aargau, kürzlich daran, „dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“. So jedenfalls steht es in der Präambel der Schweizerischen Bundesverfassung. Demnach sind wir als Gesellschaft, als Volk, dann stark und erfolgreich, wenn das Wohlergehen und -befinden auch für den Schwachen möglich ist. Sind das schöne Worte, träumerische Utopien oder  wirklich das, was wir anstreben?

Was für Menschen wollen wir sein?

Eine Gesellschaft, in der sich die eigene Stärke am Wohl der Schwachen misst, orientiert sich an anderen Regeln des Zusammenlebens als eine Gesellschaft, die sich über (unan)ständiges Wachstum, virtuelle Finanzkraft oder exportierten Promis definiert.

Wir haben die Wahl! Jeder von uns setzt seine eigene Prioritätenliste:

  • Selbstverliebtheit – es geht nur um mich.
  • Habgier – ich will alles, was es zu haben gibt.
  • Glanz und Gloria – Hauptsache die Show stimmt.
  • Lustprinzip – ich tu, was grad am meisten Spass verspricht.

Sind das die Werte, die unsere Gesellschaft ausmachen (sollen)? Dass die Früchte einer solchen Gesellschaft höchst individualisierte, narrzistische Menschen sind, wird wohl jedem schnell kar. Da opfern wir „die Schwachen“ damit wir unsere eigenen Bedürfnisse befriedigen können. Sprich: Wir ziehen unser Ding durch, egal was es (den anderen) kostet – ohne Rücksicht auf Verluste.

Was für eine Gesellschaft wollen wir?

Kürzlich durfte ich beim Radio Life Channel eine Serie zu den 10 Geboten mitgestalten. Die Grundidee war: Kann es sein, dass die biblischen zehn Gebote weniger Verbote sind, die uns den Spass am Leben verderben wollen, sondern göttliche Prinzipien und Regeln des Zusammenlebens sind, die uns ein lebenswertes Dasein in Freiheit ermöglichen. Beim Nachdenken über die verschiedenen Gebote war ich aufs Neue fasziniert: Wenn wir uns danach richten würden, könnten wir uns ganz viel Ärger und jede Menge Ängste in unserer Gesellschaft ersparen. Und: Würden wir uns gemeinsam an den göttlichen Geboten orientieren, wären wir auf dem besten Weg, den Vorsätzen aus der Präambel der Bundesverfassung gerecht zu werden.

Was für eine Kraft, was für eine Freiheit, liegt in diesen Regeln des Zusammenlebens. Hier einige daraus:

  • Begehre nicht, was einem anderen gehört.
    Was für eine Freiheit, wenn wir nicht mehr nach dem destruktiven Prinzip des „Vergleicheritis“ leben sondern zufrieden sind mit dem, was wir haben.
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Lüge nicht.
    Wie schön wäre es, wenn wir einfach davon ausgehen könnten, dass wir alle die Wahrheit sagen. Ein offener, ehrlicher und aufrichtiger Umgang miteinander würde so viel einfacher machen.
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Zerstöre keine Ehe.
    Was für ein Stress, wenn wir mit der Angst leben müssen, unser Partner könnte doch noch einen/eine „Bessere“ an Land ziehen. Ist es nicht befreiend zu wissen, dass das Ja zueinander nicht nur ein Provisorium ist?
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Morde nicht.
    Das ist doch in unserer zivilisierten Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Doch wo beginnt das Morden? Schützen wir in unserer Gesellschaft das Leben wirklich?
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).
  • Beraube niemand seiner Freiheit.
    Eine Gesellschaft, die frei von Korruption ist sowie die Freiheit und das Eigentum des anderen respektiert, erfreut sich einer hohen Lebensqualität.
    => Zum Radiokurzbeitrag (2-3 Minuten).

Wie gesagt: Wir haben die Wahl! Was für Menschen wollen wir sein und wie wünschen wir uns unsere Gesellschaft? Klar: Wir können nicht den anderen ändern – aber wir können bei uns beginnen!

 

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Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

«You & Me» – Du & ich

Der Mensch für sich allein vermag gar wenig
und ist ein verlassener Robinson;
nur in der Gemeinschaft mit den anderen
ist und vermag er viel.

Arthur Schopenhauer, deutscher Philosoph (1788 – 1860)

Das hat Schlagzeile gemacht: Die Heilsarmee will die Schweiz am Eurovision Song Contest 2013 in Malmö vertreten. Unter dem Motto Heilsarmee rocks Malmö wurde ein spannendes Projekt gewagt, das sich sehen lässt: Eingängiger, rockiger Song, ansprechender Text und geniale, originelle Umsetzung. Die Idee hat mich sofort begeistert.

Wenn der 20jährige zusammen mit dem 94 Jahre alten Senior You & Me rockt, dann ist das ein überzeugendes Zeichen, dass hier tatsächlich gelebt wird, was im Song beschrieben wird: „Verkündet von nah und fern wie es eigentlich gemeint ist: wir gehören zusammen, du und ich.“ Würde das irgendeine Babyface-Boygroup, zusammengestellt durch eine Castingshow, vom süffisant lächelnden Dieter Bohlen angepriesen, singen, wäre es ein nettes Liedchen rund um kuschelige Harmonie, die wohl schon hinter der Bühne vorbei wäre. Aber so – die Heilsarmee, eine Marke die für Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Engagement für die Gesellschaft steht, eine Band, die ausstrahlt, was sie singt und dadurch authentisch wirkt, ein Song, der deutliches Ohrwurmpotenzial hat – mir gefällt dieser Mix.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=FKbzOIab0yM[/youtube]

Der von der erfolgreichsten Musikproduzentin der Schweiz, Hitmill, produzierte Song You & Me besingt nicht einfach eine heile Welt, die mit unserer Realität nichts zu tun hat. Im Gegenteil. Der Anfang ist ganz schön gesellschaftskritisch, wenn es da heisst: „Wenn die Zeiten rauer werden und Gold und Silber zu Staub zerfallen. Wenn Menschen aus Eifersucht und Hass Barrikaden bauen.“  

Und so wird das Heilsarmee-Projekt zum eindrücklichen und glaubwürdigen Aufruf an uns alle: Lassen wir die Barrikaden einstürzen und suchen stattdessen das Verbindende zwischen dir und mir. Nicht Barrikaden aus Eifersucht und Hass, aber auch nicht Gold und Silber, sind die Dinge, die uns als Menschen weiterbringen. Was wir brauchen, sind Brückenbauer, Menschen, die sich statt Fäuste offene Hände entgegenstrecken. Wir brauchen Menschen, die verbindend wirken. Zum Beispiel genau wie diese Heilsarmee-Band: Eine Verbindung zwischen Generationen herstellen. Oder: Eine Verbindung zwischen arm und reich, In- und Ausländer, gesund und krank, stark und schwach…

You & Me – du & ich. Wie können wir gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Ort etwas mehr Lebensqualität für uns alle bietet?

Mir selbst wurde letzte Woche aufs Neue bewusst, dass ich etwas habe (ich weiss selbst nicht wirklich, was es ist), dass ich zu geben habe. In unserer sozial-diakonischen Kinder- und Familienanimation hatten wir die vier schönsten Tage im Vereinsjahr, die Happy Kids Days. Als Organisator und Verantwortlicher fürs Mitarbeiterteam bin ich in dieser Kinderwoche oft eher im Hintergrund. Doch die Kids geniessen es, wenn ich mich direkt mit ihnen abgebe. „Irgendetwas“ scheint anzukommen, wenn ich mich mit dem Einzelnen beschäftige. Ich werde zum Kumpel und zum Vorbild.

Diese Erfahrung zusammen mit dem Heilsarmee-Song spricht zu mir: Ja, ich will mich für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft engagieren. Ich will mich nicht mit „Bürokram“ vollstopfen, mich nicht endlos um Silber und Gold drehen und schon gar nicht Barrikaden aus Hass und Eifersucht aufrichten.

You & Me – du & ich. Wir können einen Unterschied in dieser Gesellschaft machen. Packen wir es an!

Und übrigens: Ein erster, einfacher Schritt könnte ja sein, in der Vorausscheidung für den Song der Heilsarmee zu stimmen. Wie hat es Georg Schlunegger von Hitmill treffend gesagt: „Wenn Zero Points, dann wenigstens für einen guten Zweck.“

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

 

Wir sind neutral

Naturwissenschaftler wissen genau, wie zwei Atome in einem Molekül zusammengehalten werden. Was aber hält unsere Gesellschaft zusammen?
Elisabeth Noelle-Neumann

Wir Schweizer sind neutral. So neutral, dass wir hin und wieder unsere eigenen Wurzeln vergessen und stolz unsere Meinungslosigkeit demonstrieren. Man ist neutral, politisch korrekt und hält sich mit seinen eigenen Überzeugungen, falls man denn lauter Neutralität noch eine hat, zurück. Dies gilt besonders, wenn es ums Religiöse geht.

Unsere Gesellschaft braucht Leute, die sich engagieren. Menschen, die bereit sind, ans grosse Ganze zu denken und nicht nur ihren eigenen Vorteil suchen. Ich vermute, dass es gerade solche engagierte Personen sind, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ein weiser Mann hat mir einmal gesagt: „Wer sich einsetzt, setzt sich aus.“ Wer sich engagiert – und sich dabei möglicherweise von seinen starken Überzeugungen leiten lässt – wird so zur Bedrohung für das neutrale System.

Es fällt auf, dass in regelmässigen Abständen Menschen, die sich zum Wohl unserer Gesellschaft einsetzen, Medienkritik auf sich ziehen. Nicht selten werden Personen aus kirchlichen, besonders freikirchlichen, Kreisen verdächtigt, ihr soziales Engagement nicht neutral auszuüben. Da hatte man Angst davor, dass Lehrpersonen aufgrund ihres Glaubens einen schlechten Einfluss auf die Kinder ausüben könnten. Dann standen christliche Hilfswerke wie die Heilsarmee in der Kritik, wenn sie vom Staat Aufgaben (zum Beispiel im Bereich der Migration und Integration) übernahmen. Und letzten Sonntag las ich nun in der NZZ am Sonntag von einem Freund von mir, der dem Jugendtreff in Aarburg zu neuem Leben verhalf. Als Jugendpastor einer Freikirche steht er natürlich unter besonderer Beobachtung, wenn er nun eine Aufgabe übernimmt, welche die politische Gemeinde scheinbar nicht mehr selbst ausfüllen kann (oder will). Und schon wird da eine Psychologin zitiert: „Ich finde das problematisch.“

Im nächsten Satz sagt Psychologin Regina Spiess: „Das Ziel guter Jugendarbeit ist unter anderem, Jugendliche in ihrer Entwicklung und Identitätsfindung zu unterstützen.“ Und genau das können eben Menschen mit einer starken (Glaubens)Überzeugung nicht. Erstens glaub ich nicht, dass ein neutrales, meinungsloses Wesen den Jugendlichen in der Entwicklung und Identitätsfindung eine grosse Hilfe ist. Und zweitens sind Bio-Ideologen, Umweltschützer oder Sportbegeisterte genauso wenig neutral wie religiöse Menschen. Das neutrale Schulzimmer gibt es nicht – ausser vielleicht, wir lassen unsere Kinder von Computern unterrichten. Aber ob dies ihrer Entwicklung und Identitätsfindung wirklich dienlich wäre…

Wir tragen stolz das Schweizer Kreuz auf unserer Brust – aber wehe, wir sehen in diesem Kreuz ein Symbol für unsere Wurzeln und das Glaubensfundament, das unser Land viele Jahre getragen hat. Es ist mir völlig klar, dass es in jedem Lager (ob religiös, bio oder feministisch) Fanatiker gibt. Aber dass man ausgerechnet bei denen, die sich auf die christliche Tradition unseres Landes besinnen und sich nach bestem Wissen und Gewissen für unsere Gesellschaft engagieren wollen, eine unverhältnismässig grosse Gefahr wittert, macht mich traurig, ärgerlich und betroffen – weil ich auch persönlich betroffen bin.

Nein, ich bin in vielerlei Hinsichten nicht neutral – weil ich tatsächlich zu vielem eine eigene Meinung habe. Doch das Gebot der Nächstenliebe lehrt mich, den anderen mit seiner Meinung zu respektieren, akzeptieren und wertzuschätzen. Und so kann jeder, ob noch jugendlich oder doch schon etwas älter, in seiner Identitätsfindung entscheiden, in welche Richtung er sich entwickeln will.

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.

Kranke Gesellschaft?

Ohne Vision verliert eine Gesellschaft jeden Halt.
Glücklich ist, wer sich an die göttlichen Prinzipien hält.

frei nach König Salomo

Noch nie lebte der Mensch in so grosser Freiheit wie heute. Und noch nie war der Mensch so sehr überfordert im Umgang mit dieser Freiheit.

Zu diesem Schluss kam ich jedenfalls, als ich den Artikel „Die neuen Gebote“ in der NZZ am Sonntag vom 8. Juli 2012 las:

„Dabei wären wir doch so frei wie nie. Dürfen tun, sagen und glauben, was wir wollen, egal ob wir arm sind oder reich, Frauen oder Männer. Und trotzdem oder gerade deshalb hängen sich so viele an die Lippen von Ratgebern wie Kinder an die Rockzipfel ihrer Mamis, um auszusehen, wie alle aussehen, das zu tun, was alle tun, die ewiggleichen Sätze zu sagen und sich in abgeschaute Posen zu werfen.“

Trotz grosser Freiheit und schier unendlichen Wahlmöglichkeiten findet sich die Gesellschaft mit einem „Darfmanitis“-Problem wieder und weil es kaum mehr allgemein gültige Normen oder gemeinsame Werte gibt, wird auch die Orientierungslosigkeit grösser und grösser: Darf man das? Muss man dies? Kann man jenes?

Mir scheint das krankhaft: Die Individualisierung wird bis zum Narzissmus ausgereizt (die Welt um mich herum existiert, damit es mir gut geht) und der Sinn fürs Gemeinwohl sinkt auf ein gefährliches Niveau ab. Gleichzeitig ist die Angst, sich zu blamieren oder irgendwie unangemessen anders zu sein, so gross, dass man dem Diktat der Gesellschaft folgt, statt mutig den eigenen Weg zu entdecken und zu gestalten.

Nochmals eine Perle aus dem oben erwähnten Artikel von Carole Koch:

„Man macht Karriere, kleidet sich stilgerecht, ist fit, turnt Yoga, beisst in Biogemüse, meditiert, trennt Abfall, kauft Versicherungen, kauft Autos, kauft Möbel, macht Kinder, wird alt und fett und glücklich, unbedingt. Im Grunde wollen alle das, was schon immer alle wollten: sein wie die anderen.“

Doch hier liegt die Herausforderung: Da es immer weniger allgemein akzeptierte und verbindlich gelebte Werte gibt, ist überhaupt nicht klar, „wie man zu leben hat“. Diese Orientierungslosigkeit führt dazu, dass die unterschiedlichsten – seriösen und weniger seriösen – Ratgeber aufgesucht werden, um Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen.

Dass man sich mit den Fragen der Lebensgestaltung, ja mit den Fragen des Lebens überhaupt, an eine Drittperson wendete, finde ich zunächst sehr sinnvoll. Die Frage ist nur, von wo man sich Hilfe erhofft und wie diese Hilfe aussieht. Nicht selten wird nämlich die persönliche Freiheit aufgegeben und man tritt in eine (unbewusste) Abhängigkeit eines esoterischen Lehrers, religiösen Führers oder unseriösen Therapeuten. Auch die Meinung eines Stilberaters kann abhängig machen.

Unsere Gesellschaft krankt daran, dass sich jeder selbst verwirklichen will, aber keiner Verantwortung übernehmen will. Selbst die Verantwortung für das eigene Leben legt man lieber in die Hände eines Beraters, der uns sagt, wo’s lang geht. Beim Nachdenken übers Leben, beim Reflektieren des eigenen Weges kann die Unterstützung eines Freundes oder Beraters eine grosse Hilfe sein. Aber die Verantwortung fürs eigene Leben sollte man nicht delegieren – weder an die Gesellschaft noch an einen Therapeuten und schon gar nicht an einen Guru.

Als Coach ist es mir wichtig, Menschen zu ermutigen, ihren persönlichen Weg zu entdecken und zu gestalten – unabhängig von dem, was gesellschaftlich erwartet wird. Und als Theologe ist es mir wichtig, Menschen zu ermutigen, sich an den göttlichen Prinzipien zu orientieren – weil in diesen alten Wahrheiten eine grosse Kraft steckt.

 

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Grenzenlose Freiheit?

Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen,
was einem anderen nicht schadet.

(aus der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte)

„Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“, philosophierte Reinhard Mey in seinem erfolgreichsten Lied aus dem Jahr 1974. Nicht nur über den Wolken, sondern auch in Berns Gassen, hätte die Freiheit grenzenlos zu sein. Darum zogen kürzlich mehr als 10’000 Jugendliche unter dem Motto „Tanz dich frei“ durch Berns Innenstadt.

Ich als ahnungsloser Landmensch war ausgerechnet an diesem sommerlichen Abend mit meiner Frau in Bern. Auf der Suche nach einem Gratisparkplatz war ich erstaunt, dass der Schützenmatte-Parkplatz (bei der „Reithalle„) fast leer war. Erst die vielen Parkverbotstafeln erinnerten mich daran, dass ich in der Zeitung etwas von einer illegalen Demo gelesen hatte. Als wir nach dem Essen irgendwo auf einem Platz noch einen Kaffee trinken wollten, machte sich der Umzug gerade auf den Weg: Was auf uns anfänglich wie ein friedliches Konzert wirkte, stimmte uns bei genauerem Betrachten ziemlich nachdenklich (vor allem, was den Alkoholkonsum und die destruktive Stimmung betraf).

Im Nachgang wurde viel über diesen Umzug geschrieben, debattiert und kommentiert. Grenzüberschreitungen von Jugendlichen und der Schrei nach Freiheit sind wohl so alt, wie die Menschheit selbst. Genauso wie die Reaktion der älteren Generationen darauf. Doch mich interessiert hier weniger die Jugendfrage als die Gesellschaftsfrage. Sind wir überhaupt fähig und gewillt miteinander oder wenigstens nebeneinander zu leben, ohne das Wohlbefinden des anderen zu beschneiden? Mit andern Worten: Ist unser Egoismus so gross, dass wir auf Kosten anderer leben?

Freiheit muss gelernt sein

„Mir scheint, dass unsere individualistisch geprägte Gesellschaft erst noch lernen muss, wie eine grosse Zahl von Menschen im öffentlichen Raum miteinander umgeht, ohne dass die Rechte der Einzelnen beschnitten werden.“ Dies sagte Thomas Kessler von der Kantons- und Stadtentwicklung des Kantons Basel-Stadt gegenüber der NZZ am Sonntag (Artikel „Party aus Protest“, NZZ am Sonntag, 10. Juni 2012).

Mir scheint, dass es hier um den alten Grundsatz aus der Französischen Revolution und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte geht, der besagt, dass persönliche Freiheit nur soweit möglich ist, als dass die Rechte und die Freiheit des anderen nicht beschnitten würden. (Siehe Zitat am Anfang dieses Blogartikels.)

Aber was heisst das im täglichen Zusammenleben? Und was heisst das in einer globalisierten Welt? Missachten wir nicht auch diesen Grundsatz, wenn wir unseren Reichtum auf Kosten anderer Länder anhäufen? In Teilen dieser Welt werden Menschen ausgebeutet, damit wir unseren Wohlstand vergrössern können. Leben wir da nicht eine Freiheit, die einem anderen schadet?

Ich glaub nicht, dass ich hier Antworten geben kann. Weder auf die Frage, wie eine für alle Beteiligte zumutbare Lösung betreffend Jugendkultur und Nachtleben in den Grossstädten aussehen könnte, noch auf die Problematik, dass unser Wohlbefinden nicht selten auch auf Kosten des Wohlbefinden eines anderen geht.

Doch ich will uns zu einer Denkpause (einer Pause vom Alltagsgeschäft, in der wir denken und nicht eine Pause vom Denken!) aufrufen, in der wir uns selbst prüfen und fragen: Wo lebe ich auf Kosten meiner Mitmenschen? Meiner Mitmenschen in der Familie, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, im Ausgang – und auch auf Kosten meiner Mitmenschen in der dritten Welt.


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Geben oder Nehmen? Beides!

Frage nicht was dein Land für dich tun kann,
sondern was du für dein Land tun kannst!

John F. Kennedy

Ist dieser berühmte Satz vom ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy eine Aufforderung zu poltischem Handeln? Sicher auch. Doch dahinter steckt viel mehr: Es ist schlichtweg ein fundamentales Prinzip für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Mehr Mitmenschlichkeit und stabilere, befriedigendere zwischenmenschliche Beziehungen können die Folge sein, wenn wir der Aufforderung von JFK nachkommen.

Das „Nehmen“ ist uns Menschen oft näher als das „Geben“. Im Kern steckt wohl in jedem von uns ein kleiner (oder manchmal auch ein grosser) Egoist. In der Bibel für Ungläubige steht zu diesem Thema (Seite 40): „Und stimmt es nicht, dass wir uns manchmal an der Supermarktkasse vordrängeln oder einem anderen Autofahrer den letzten freien Plarkplatz wegnehmen? Ja, wir denken an uns selbst zuerst, und meistens schämen wir uns noch nicht einemal deswegen.“

Doch eine Gesellschaft mit lauter Egoisten ist zum Scheitern verurteilt. Zum Glück – oder besser: Gott sei Dank – steckt im Kern von uns Menschen auch das Bedürfnis nach Gemeinschaft. Alle sind auch gerne mal alleine, aber keiner ist gerne einsam. Dank diesem Wunsch nach Gemeinschaft mit anderen Menschen haben wir hoffentlich im Lauf der Zeit gelernt, dass Beziehungen nicht nur im „Nehmen-Modus“ gelebt werden können. Vielleicht sind wir mit diesem Bewusstsein, dass zu erfüllenden Beziehungen das Geben und das Nehmen gehören,  gross geworden. Vielleicht mussten wir aber auch auf die harte Tour lernen, dass man als Egoist eines Tages keine Freunde mehr hat.

Jeder hat etwas zu geben

So oder so, wir tun gut daran, wenn wir uns ab und zu die Aufforderung von Kennedy zu Herzen nehmen und danach fragen, was wir in die Gemeinschaft einbringen können. Jeder Mensch, egal wie intelligent, reich, alt, angesehen… er/sie ist, hat etwas zu geben. Dies gilt für den privaten, familiären Rahmen, aber auch für den öffentlichen, den Bereich der Gesellschaft. Viele Dienste, die früher selbstverständlich einfach getan wurden (Kinderbetreuung, Pflege der Eltern, Einsatz fürs Gemeinwohl), werden heute verstaatlicht oder sonst wie professionalisiert. Es gibt viele gute Gründe dafür (Anerkennung der Arbeit, Entlastung der Familien, Kompetenz), doch diese Entwicklung hat auch eine Schattenseite. Sie fördert nähmlich die Konsumhaltung in welcher wir die Dienstleistungen der öffentlichen Hand in immer grösserer Selbstverständlichkeit beanspruchen oder gar fordern.

Dass dies ein böses Erwachen zur Folge haben kann, liegt auf der Hand: Wer immer mehr konsumiert, bekommt eine immer höhere Rechnung präsentiert. Und die könnte irgendwann sogar unser dickes Schweizer Portemonnaie überfordern.

Zurück zur Mitmenschlichkeit im Beziehungsalltag: Diesen Sonntag spreche ich an der gms Matinée in der Serie „z’friede läbe“ über die Zufriedenheit in der Gemeinschaft. Dabei werden wir unter anderem über die Gründe nachdenken, warum wir uns nicht in die Gemeinschaft eingeben. Manchmal bringen sich Menschen nicht in Gemeinschaft ein, wegen sich selbst (Minderwertigkeit, sich zu wichtig nehmen, keine Zeit…) und manchmal geben sich Menschen nicht in Gemein­schaft ein, wegen den anderen. Da werden Vorurteile zu schier unüberwindbaren Hindernissen auf dem Weg zum Mitmenschen. Unser Denken über den anderen ist in dem Fall möglicherweise so negativ geprägt (der will mich nur ausnützen, die ist nicht vertrauenswürdig…), dass ein „Geben“ und „Nehmen“ gar nicht stattfinden kann, weil ich mich niemals auf Gemeinschaft einlassen werde.

Dabei brauchen erfüllende Beziehungen genau dieses Wechselspiel vom Geben und Nehmen. Wir erleben dann grösstmögliche Zufriedenheit in der Gemeinschaft, wenn wir uns zugehörig fühlen, einen aktiven Beitrag leisten können, uns auch mal ein Fehler unterlaufen darf und wir zum Geniessen (nehmen) eingeladen werden.

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.