«Papi, aber es darf auch kein Nachteil sein, dass wir deine Kinder sind!» Das sass – und wie! Es war die Reaktion eines meiner Kinder auf meinen Ausspruch, sie sollten keine besondere Bevorzugung erhalten, weil sie «Kind von …» sind. Konkret ging es damals um meine Aussage: «Es darf kein Vorteil sein, dass ihr die Kinder des Pfarrers seid.» Und dasselbe nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Schule: «Es darf kein Vorteil sein, dass ihr die Kinder des Vize-Gemeindepräsidenten und Ressortvorstehers Bildung seid.»
Meine Haltung war bestimmt löblich. Ich hatte zu oft gesehen, dass gerade in Kirchen Pfarrerskinder eine Bühne erhielten, die anderen verwehrt blieb. Das wollte ich nicht. Der Schlagfertigkeit unserer Kinder und unserem offenen Dialog ist es zu verdanken, dass sie mir hier die Augen öffneten: «Papi, aber es darf auch kein Nachteil sein!» Natürlich nicht! Doch leider ist mir dies nicht immer gelungen. Ich wollte es richtig und möglichst allen recht machen. Doch der Rollenkonflikt als Vater und gleichzeitig Vorsteher der Volksschule im Dorf forderte mich regelmässig – und überforderte mich mindestens einmal deutlich.
Nicht das Richtige getan
Wir sassen mit unserem Sohn in einem Elterngespräch mit seiner Klassenlehrperson und dem Schulleiter. Ich war der direkte (politische) Vorgesetzte des Schulleiters. Es ging um das Wohlbefinden unseres Sohnes in der Klasse. Er fühlte sich gemobbt; heute muss ich sagen: Er wurde gemobbt. Unprofessionell gaben Klassenlehrperson und Schulleiter Phrasen wie «Mobbing ist ein grosses Wort» wieder und versuchten unseren Sohn zu besänftigen, indem sie die Angelegenheit herunterspielten. Und was tat ich? Leider nicht viel und nicht das Richtige. In dem Moment war ich als Vater da und hätte mich klar schützend vor meinen Sohn stellen sollen. Durch meinen Rollenkonflikt begann ich jedoch, auch im anschliessenden Reflektieren mit meiner Frau, die Schule zu verteidigen.
Ob der Weg unseres Sohnes anders gekommen wäre, hätte ich damals anders agiert, kann und will ich mir nicht ausmalen. Er musste später leider nochmals massives Mobbing und Bedrohung erleben und in einer Praktikumszeit erfahren, wie Vorgesetzte sich nicht für ihn einsetzten. Dass unser Sohn schon in jungen Jahren einen so schweren Rucksack zu tragen hatte, dass ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Tagesklink angezeigt war, ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren. Und auch wenn wir ihm niemals einen solchen Weg gewünscht hätten, sehen wir heute, wie ihn dieser Umweg gestärkt hat.
Innere Blockade
Mein Drang, es perfekt zu machen und meine Kinder nicht zu bevorteilen, hätte auch beinahe bei unserer Tochter ein Stolperstein werden können: Als wir in der Kirchengemeinde einen Ausbildungsplatz schaffen wollten, war es naheliegend, dass unsere Tochter sich dafür bewarb. Aber ich zögerte. «Ich will nicht mein Kind bevorzugen», dachte ich mir wieder und sah dabei auch auf die grossen Gemeinden im Land, die scheinbar keinen anderen Nachwuchs als den eigenen der Pfarrersleut haben. Nun muss man wissen: Wir sind eine kleine Gemeinde, bei uns stand niemand Schlange für einen Ausbildungsplatz. Es war eine rein theoretische Blockade von mir. Zum Glück haben wir einen Vorstand, der mir half, diese Blockade zu überwinden. Und es war hilfreich, dass nicht ich über Anstellungsbedingungen befinden musste und meine Tochter nicht «von mir», sondern von der Gesamtkirche angestellt wurde.

Weil ich es richtig machen wollte, verkomplizierte ich die Situation. So war es rückblickend bei besagtem Elterngespräch mit meinem Sohn. So war es, als es um den Ausbildungsplatz in der Gemeinde ging. Und so ging es mir auch in anderen Themen wie Familienrituale oder Regeln. Ich wollte es richtig machen, hatte meine Vor- und vor allem Idealbilder. Doch was bei anderen funktionierte, musste nicht zwingend passend für uns sein.
Authentische Persönlichkeiten
Heute wünsche ich Eltern mehr Gelassenheit. Versucht nicht, alles richtig zu machen! Das schaffen wir eh nicht. Es kann auf verschiedenen Wegen gut werden. Und ja, vielleicht dürften wir auch öfter den Mut zu mehr Bauch- und weniger Kopfentscheidungen haben.
Diesen Sommer beginnt für unsere Tochter bereits das letzte Ausbildungsjahr zur Sozialdiakonin, und sie gehört seit drei Jahren zu unserem StaffTeam. Um Rollenkonflikte möglichst klein zu halten, haben wir einige wenige Spielregeln definiert (beispielsweise bin ich bei der Arbeit nicht Papi, sondern Stef). Zu sehen, wie sie in meine Fussstapfen tritt und Projekte leitet, ist wunderschön – manchmal gar eine Begegnung mit meinem jüngeren Ich.
Nach dem schmerzhaften Umweg konnte unser Sohn seine Ausbildung zum Fachmann Betreuung Kind in einer Berner Schule beginnen und stiess dort auf ein sehr verständnisvolles und unterstützendes Umfeld. Er hat nie ein Geheimnis aus seiner Geschichte mit den psychischen Herausforderungen gemacht. Genau diese Aufrichtigkeit hat bei Bewerbungsgesprächen beeindruckt.
Authentizität ist ein grosses Wort und eine Lebensaufgabe. Ich freue mich, immer wieder zu entdecken, dass trotz aller unperfekter Erziehung unsere beiden Kinder zu authentischen Persönlichkeiten gereift sind, die ihren eigenen Werten und Gedanken treu sind und mit ihren Gefühlen in Kontakt treten.
Dieser Artikel ist zuerst im Magazin familyNEXT erschienen.
Glücksaufgabe
In welchen Bereichen täte dir etwas mehr Gelassenheit gut?
Und wo kommt dir vielleicht dein Perfektionismus in die Quere?