ScheinHeilig

Jede Rede scheint eitel und nichtig, sobald die Tat ihr nicht den nötigen Nachdruck verleiht.
Demosthenes

Kürzlich war ich wieder mit meiner Predigt Mein Montagsgesicht – Zumutung oder Ermutigung? unterwegs. Es ist eine der schönen Seiten meines Jobs beim SCM Bundes-Verlag (Schweiz), dass ich auf dem Weg zu solchen Einsätzen in Kirchgemeinden sonntagmorgens die A1 oftmals fast für mich alleine habe.

Und so war ich also vor paar Wochen wieder unterwegs, um die Menschen in einem Gottesdienst herauszufordern, in ihrem Alltag glaubwürdig zu leben und nicht mit einem aufgesetzten Glanz des Sonntagsgesichts etwas vorzutäuschen, was von Montag bis Samstag gar nicht vorhanden ist. Gedankenversunken querte ich den Aargau: Ja, diese Doppelmoral ist einfach hässlich.

Ob in der Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft allgemein – solange wir mit dem Finger auf jemand anderes zeigen können, geben wir uns gerne moralisch korrekt. Anders gesagt: Solange unser öffentliches Ich glänzt, stochern wir ganz gerne im Dreck von anderen. Ob das jetzt ein Geri Müller, die Nachbarin, ein Nationalbank-Chef, ein deutscher Bundespräsident oder das „Schätzli der Nation“ ist, spielt keine grosse Rolle. Hauptsache wir haben eine Projektionsfläche und können uns statt mit dem eigenen Dreck mit der Fehlbarkeit anderer Menschen beschäftigen.

Wie sagte doch damals dieser Nazarener (Johannes 8,7): »Wer von euch ohne Sünde ist, der soll den ersten Stein auf sie werfen.« Steine werfen sie zwar anderswo noch heute, aber wir doch nicht!

Den anderen klein machen

Nein, Steine werfen wir nicht. Aber einander Schmutz anwerfen, das tun wir ganz gerne. Mit dem Finger auf den zeigen, der sein Leben scheinbar nicht im Griff hat. Und schon sind wir Teil dieses verlogenen Spiels: Wir meinen, wenn wir den anderen klein machen, werden wir selber gross.

Doch eigentlich ist es gerade umgekehrt. Wer es nötig hat, andere klein zu machen, zeigt im Grunde nur, wie klein er selber ist.

Und dann singen wir sonntags diese Lieder in unseren Kirchen. Schöne Lieder, fromme Lieder, Lieder, die manchmal biblischer sind als die Bibel. Aber belügen wir uns da nicht oftmals auch mit diesen Liedern: Stimmt es, am Montagmorgen zum Beispiel, dass uns Jesus genug ist, er alles für uns ist? Sorry, vielleicht ist das kezerisch, aber mir reicht das nicht. Ich brauche auch andere Menschen um mich. Und überhaupt: Nicht einmal im Garten Eden war Gott alleine genug für den Menschen (Das hat sogar Gott selbst gesagt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist….“).

Vielleicht komme ich etwas vom Thema ab. Aber für mich hängt das alles zusammen: Wir singen gerne sehr fromme Lieder, halten unsere moralischen Ideale hoch, zeigen auf andere, wenn sie fehlbar werden und hoffen insgeheim, dass nur ja keiner unser eigene Dreck entdeckt. Ist unsere Gesellschaft, die diese Schlammschlacht in den Medien und an den Stammtischen landauf, landab so liebt, nicht etwas gar verlogen?

Und leider ist da auch die christliche Gesellschaft nicht besser. Wie verlogen ist es denn beispielsweise, wenn wir Homosexuelle ausgrenzen und gleichzeitig geldgierige Menschen ehrenvoll in Leitungspositionen wählen?

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich “Spiritualität“.

2 Antworten auf „ScheinHeilig“

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