Weggetragen

«Du hangisch wieder», wurde mir Ende September mehrmals gesagt. Gemeint war, dass auch mein Kopf im Plakat-Wald des Wahlherbstes zu finden war.

Auch wenn ich mich nach mehreren Wahlkämpfen (mit mehr oder weniger Ambitionen) daran gewöhnt habe, wochenlang an einem Plakat von mir selbst vorbeizufahren – es bleibt etwas Spezielles und irgendwie auch Unangenehmes.

Schön war dieses Jahr, dass mir Kids auf dem Schulhausplatz «Sälü Herr Gerber» nachgerufen haben. Erschreckend fand ich, wie viele Menschen unser, zugegebenermassen kompliziertes und für Kleinparteien auch unfaires, Wahlsystem nicht begreifen: «Wenn sein Plakat im Dorf hängt, dann will er auch unbedingt in den Nationalrat». Nein, das war nicht so, ich wollte nur meiner Partei (EVP) helfen und unserem Nationalrat (Marc Jost) zur Wiederwahl verhelfen.

Soweit so gut, um Politik soll es hier nicht gehen.

Eine Szene nach den Wahlen war so skurril, dass ich sie hier mit euch teilen will: Als wir durch ein Nachbardorf fuhren, sahen meine Frau und ich, wie ein Werkhof Mitarbeiter gerade den Plakatständer mit meinem Kopf darauf wegtrug.

Das ist eingefahren: Ich werde einfach weggetragen. Ein starker Mann nimmt mich einfach so unter seinen Arm – und weg bin ich.

Wir schauten der Szenerie etwas perplex zu und verpassten es so leider, ein Foto davon zu schiessen. Ein solches Bild hätte meine Gedanken hier eindrücklich untermalen können. Nun setz ich einfach auf deine Vorstellungskraft!

Endlichkeit vor Augen

Dieses Bild, wie ich weggetragen werde, brannte sich sofort in mein Herz. Deutlicher kann man nicht mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert werden. Meine Zeit, mein Sein und Tun, all die schönen Beziehungen und all mein freudiges Wirken, aber auch sämtlicher Schmerz des Alltags – all das hat ein Verfallsdatum.

Irgendwann werde ich nicht mehr sein!

Und bei dir ist es genauso!

Ich finde diesen Gedanken nicht bedrohlich – auch wenn ich hoffe, dass mein Verfallsdatum noch einige Jahre auf sich warten lässt.

Doch die Endlichkeit vor Augen ist für mich eine Einladung, mein Leben bewusst zu gestalten. Mich regelmässig, ganz besonders um meinen Geburtstag herum (war gestern), zu fragen, was ich durch mein Sein und Tun bewegen will und was ich eines Tages hinterlassen will.

Die Amis sprechen da schön von «Leave a legacy», die deutsche Übersetzung kommt nicht an diesen schönen Satz heran: Ein Vermächtnis hinterlassen.

Aber bleiben wir dabei: Welches Vermächtnis wollen wir zurücklassen? Das entscheidet sich heute – und nicht auf dem Sterbebett!

Die kleinen Entscheidungen des Alltags bestimmen, welche «Legacy» wir einmal zurücklassen werden.

Das Bild meines Wegtragens ist kaum an Dramatik zu überbieten, wenn ich dir jetzt noch etwas ganz Persönliches anvertraue: Genau in diesen Tagen, als sich die Szenerie abspielte, erfuhren wir, dass die Chemotherapie bei meinem Vater sein Ziel verfehlt und er besser seiner baldigen Endlichkeit ins Auge schaut.

Lass uns im Bewusstsein leben, dass wir möglicherweise schon morgen weggetragen werden.

Glücksaufgabe

Meine Hoffnung, dass es auch nach dem endgültigen Wegtragen meiner Selbst nicht zu Ende ist, nährt sich aus meinem Vertrauen in die christliche Verheissung: Nach dem unvollkommenen Leben im Hier und Jetzt mit all seiner Schönheit und seiner Tragik, wartet auf uns ein vollkommenes Leben im Jenseits. All unsere Sehnsüchte werden da gestillt werden.

Und welche Hoffnung trägt dich über die Endlichkeit des diesseitigen Lebens hinaus?

Nach den vielen Worten hier ein Lied, das mich bewegt und etwas von dieser Hoffnung ausdrückt:

Zufriedener Staatsbürger oder Wutbürger?

Ich zahle gerne Steuern. Und seit ich im Gemeinderat sitze, noch viel lieber.

Zugegeben: Bisher habe ich mein Leben lang auch noch nicht wirklich sehr viel Steuern bezahlen müssen. Und wenn sich im Verlauf der letzten zehn Jahren unser Steuerbetrag deutlich erhöht hat, ist dies ein schöner Beweis dafür, dass sich unser Einkommen langsam dem durchschnittlichen Haushaltseinkommen annähert. Die Steuerrechnungen sind für mich also schon nur darum ein Grund zur Dankbarkeit.

Doch seit ich in der Exekutive sitze, wird mir der Gegenwert meiner Steuern viel bewusster. Es gibt unterschiedlichste Bereiche, in denen meine Familie und ich vom Gemeinwesen profitieren, aber belassen wir es bei einem Beispiel aus meinem eigenen Ressort (Bildung).

Diesen Sommer schliesst unser zweites Kind seine obligatorische Schulzeit ab. Für ein Schuljahr rechnen wir pro Schülerin und Schüler mit Kosten von ca. 10’000 Franken.

Die Rechnung ist wirklich einfach: Zwei Kinder, je 11 Schuljahre = rund 220’000 Franken.

Der Staat liess sich die obligatorische Schulkarriere unserer Kinder knapp eine Viertelmillion Franken kosten. Und da sind Mittelschule oder Berufsausbildung noch gar nicht mitgerechnet.

Bis der Staat eine Viertelmillion von mir erhält, muss ich bei meinem aktuellen Steuerbetrag gut und gerne 35 Jahre Steuern einzahlen.

Fazit für alle, die es weniger mit Zahlen haben: So gerne wir alle jeden Steuerfranken lieber in Ferien investieren würden, die meisten von uns profitieren weit mehr von den Leistungen des Staates als sie jemals dafür bezahlen werden.

«Frage nicht …»

Neulich, genau ein Jahr vor dem grossen Wahltag, habe ich meinen Wahlkampf für den Grossrat (Berner Kantonalparlament) lanciert. Für dieses Mailing hab ich nach einem Aufhänger gesucht und da kam mir mal wieder das bekannte Zitat von John F. Kennedy in den Sinn:

Frage nicht, was dein Land für dich tun kann,
sondern was du für dein Land tun kannst!

Ich war mir aber unsicher, ob ich diesen Spruch verwenden sollte: Ist er nicht abgedroschen? Oder zu pathetisch? Und überhaupt – passt er in der aktuellen (Krisen)Situation?

Nach einigem Abwägen entschied ich mich, das Zitat zu verwenden – jetzt erst recht!

Es ist so einfach – und derzeit unheimlich beliebt – gegen den Bundesrat, den Regierungsrat, den Gemeinderat oder auch gegen die Schule zu wettern.

Sie alle machen alles falsch. Nur die, die sich beschweren, anklagen oder gar verurteilen, sie machen scheinbar alles richtig.

Ist das nicht etwas gar einfach? Natürlich habe auch ich meine Fragen. Ob der Bundesratsentscheid von letztem Mittwoch wirklich schlau war oder wir schon bald eine ghörige Retourkutsche auf uns zukommen sehen werden – ich weiss es nicht.

Was ich weiss: Ich hätte nicht im Budesratszimmer sein wollen und diesen Entscheid fällen müssen.

«Wer sich einsetzt, setzt sich aus!», hat in jungen Jahren jemand zu mir gesagt. Und tatsächlich: Jedes Mal, wenn ich irgendwo Verantwortung übernehme oder mutig voran gehe, gibt es auch Leute, die meinen Einsatz nicht nachvollziehen können.

Was ist die Alternative? Motzen statt anpacken kann es aus meiner Sicht nicht sein: «Wer immer etwas auszusetzen hat, bewegt wenig!»

Die unerhörte Anspruchshaltung in unserer Gesellschaft gibt mir zu denken. Dabei sind wir sehr weit weg von dem, was John F. Kennedy sagte. Es wird mehr danach gefragt, was unser Land für uns tun und lassen sollte. Menschen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, sind leider selten geworden.

Schade eigentlich! Gemeinsam könnten wir vieles zum Guten bewegen.

Glücksaufgabe

Wie hast du es mit den Steuern? Warum könnte Steuern bezahlen auch etwas mit Dankbarkeit zu tun haben?

Was heisst der Spruch von John F. Kennedy für dich? Was kannst du für dein Land tun?