Es beginnt im Herzen

Gestern war es wieder einmal so weit: Wir genossen tolle Live-Musik, ein Apéro, liessen uns von einer spannenden Lebensgeschichte inspirieren – und dies alles in gemütlicher Bistro-Atmosphäre ohne Zertifikat oder Maske …

Unser Format Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott war in den letzten zwei Jahren wie alle kulturellen Events stark in Corona-Mitleidenschaft gezogen worden. Und so genoss ich es sehr, gestern «fast wie früher» in einem mit jungen und älteren Menschen gut gefüllten H2 den Abend zu verbringen.

Genossen habe ich auch den Talk mit unserem Gast des Abends: Sarah Bach, Pfarrerin und Klimaaktivisten, erzählte uns, was sie in ihrer Kindheit geprägt hatte und wofür ihr Herz heute ganz besonders schlägt.

Der Talk bietet ganz viel Stoff zum Weiterdenken. Zwei Dinge sind mir da ganz besonders hängen geblieben:

  1. Die Geschichte von Sarah ist ein wunderbares Beispiel dafür, was die Leidenschaft für ein Thema bewirken kann.
  2. Der Klimawandel ist nicht bloss eine Klimakrise, sondern vergrössert die Ungerechtigkeit in allen Bereichen.

Wandel durch persönliche Betroffenheit

Wie geschieht Veränderung? Einige sagen, alles beginne im Kopf. Oder zum Neujahr hin hören wir immer wieder, dass wir einfach den inneren Schweinehund überwinden müssten, dann klappe es schon mit den Neujahrsvorsätzen.

Und im Blick auf die aktuelle Weltlage wird derzeit oft auf den – inzwischen zum Scheitern verurteilten – Plan «Wandel durch Handel» verwiesen.

Sarah erzählte uns gestern, dass sie nicht zur Klimaaktivisten wurde, weil jemand moralisierend zu ihr gesagt hätte: «Da muss jemand etwas machen!». Vielmehr war es die persönliche Betroffenheit. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema wurde ihr Herz auf eine ganz spezielle Art berührt.

Genau dieses Berührtsein – ich nenne es Passion oder Leidenschaft – setzt ungekannte Kräfte frei. Es ist dann, wenn sich ein Thema, eine Not oder eine besondere Menschengruppe so sehr in deinem Herzen und deinen Gedanken einnistet, dass du dich im besten Sinn des Wortes freiwillig dafür einsetzt.

Aus freien Stücken – nicht weil irgendjemand zu dir sagt, du sollst dies tun. Und willig, weil du dieser bestimmten Not etwas entgegensetzen willst.

Darum glaube ich, dass Veränderung im Herzen und nicht im Kopf passiert. Nicht, weil wir mehr und mehr wissen, verändert sich etwas. Sondern wenn uns etwas so sehr packt, dass eine Sehnsucht in unserem Herzen wächst, aktiv zu werden.

Vom bekannten und wichtigen Dreiklang von Herz, Kopf und Hand sprach Sarah. Etwas berührt unser Herz, bringt uns zum Nachdenken und Pläne schmieden und damit die Veränderung dann auch wirklich ins Rollen kommt, müssen den edlen Absichten und guten Gedanken Hände und Füsse wachsen: Die gute Tat.

Intersektionalität: Klimawandel verstärkt die Ungerechtigkeit

Der zweite Aspekt, der vom gestrigen Talk noch nachklingt, ist das Fremdwort, welches Sarah «mitgebracht» hatte: Intersektionalität.

Einfach ausgedrückt, besagt der Begriff: Wem es schon schlecht geht, steht in Gefahr, dass es noch schlimmer wird.

Und jetzt in den Worten von Sarah: «Der Begriff wird gebraucht um zu beschreiben, wie verschiedene Unterdrückungsmechanismen zusammenspielen können. Wer also bereits unter einer Unterdrückung leidet, sei es aufgrund der Rasse, des Geschlechts, der sozialen Klasse, ist anfälliger für andere Diskriminierungsformen.»

Weiter zeigte sie auf, dass unter dem Klimawandel besonders die Menschen zu leiden haben, die es schon sonst schwer haben. Die Ungerechtigkeit auf der Welt wird quasi durch den Klimawandel weiter verstärkt.

Es ist wie eine Negativspirale, die uns immer weiter herunterzieht. Auf der anderen Seite gibt es auch sowas wie die Positivspirale – werden in einem Bereich (z.B. Bildung) Besserungen erzielt, zieht es auch weitere Bereiche nach sich.

«Deshalb sollte ein Kampf gegen den Klimawandel auch ein Kampf gegen andere Ungerechtigkeiten beinhalten und antirassistisch, feministisch und antikapitalistisch gestaltet sein, um die Ungerechtigkeitsformen von mehreren Seiten angehen zu können.»

Glücksaufgabe

Und was hat Intersektionalität mit Glück zu tun? Was wir bei der globalen Ungerechtigkeit beobachten können, lässt sich auch aufs Individuum übertragen: Wenn ich in einem Lebensbereich gerade sehr herausgefordert bin (z.B. Arbeitslosigkeit), kann dieser Zustand alle anderen Lebensbereiche (Familie, guter Umgang mit mir selbst, Sozialleben) in Mitleidenschaft ziehen.

Gelingt mir jedoch in einem Lebensbereich eine zufriedenstellende Entwicklung, besteht die berechtigte Hoffnung, dass ich auch in anderen Bereichen mehr Glück im Sinn von Lebenszufriedenheit empfinden werde.

Du willst mehr Glück in deinem Leben? Dann setzt dich mit diesen beiden Fragen auseinander:

  1. Was berührt mein Herz? Finde deine Leidenschaft und werde aktiv darin!
  2. In welchem Lebensbereich kannst du mit einem kleinen nächsten Schritt eine positive Entwicklung einleiten und dich damit in eine Positivspirale manövrieren?

Wegschauen?

Wie geht es dir mit all den Katastrophen auf der Welt? Mich machen sie ziemlich ohnmächtig und die ganze Corona-Situation macht es nicht einfacher.

Einmal mehr wurde ich vom  Magazin Family und FamilyNEXT gefragt, wie ich damit umgehe, was mir hilft, wenn ich mich ohnmächtig gegenüber den Katastrophen fühle.

Hier meine Antwort:

Was mir gegenwärtig hilft? Ganz ehrlich? Wegschauen! Rückzug in meine kleine „heile Welt“. Na klar, die ist ja auch nicht immer so heil, doch die Probleme in meiner kleinen Welt – Reisebeschränkung wegen Corona, Badeverbot wegen Hochwasser, kein Frischbrot im Regal kurz vor Ladenschluss – sind ja vergleichsweise wirklich kleine Probleme, schon fast lächerliche.

So einfach und bequem der Rückzug in meine kleine Welt scheint, so unbefriedigend ist er auf der anderen Seite: Was gibt mir das Recht, mein geschenktes Leben in einem privilegierten Teil der Welt – und dazu noch an einem der schönsten Flecken – zu geniessen, während anderswo Menschen zuschauen müssen, wie Flammen oder Fluten ihre ganzes Habe innert Sekunden zerstört? Oder Menschen tagtäglich unter Armut, Hunger, Ungerechtigkeit zerbrechen? Die Liste liesse sich beliebig erweitern – Syrien, Afghanistan, Haiti …

Und dann kommt sie, die Ohnmacht. Ich fühle mich wirklich ohnmächtig den Katastrophen dieser Welt gegenüber. Ob Naturkatstrophen, Kriege oder die riesige Ausbeutung von Mensch und Natur – was kann ich da schon tun? Noch schlimmer: Mit meinem mitteleuropäischen Lebensstil bin ich sogar Teil vom Problem. Doch Gott hat uns beauftragt, Teil der Lösung zu sein.

Ich will mich der Ohnmacht stellen, statt wegzuschauen. Ich will im Kleinen beginnen, Teil der Lösung zu sein, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Das ist mein Anfang. Und dann will ich herausfinden, wie ich die drei grossen göttliche Aufträge in meinem Leben umsetzen kann:

1. Bebaut und bewahrt die Erde! (1. Mose 2,15)
2. Liebe Gott und deine Nächsten wie dich selbst! (Markus 12,30f)
3. Machet zu Jüngern alle Völker! (Matthäus 28,19).

Und wenn ich meine Verantwortung wahrnehme, darf ich auch mit gutem Gewissen meine kleine Welt geniessen.

Dieser Artikel ist zuerst als Kolumne in der Rubrik „Das hilft mir, wenn …“ im Magazin Family und FamilyNEXT erschienen.  

Glücksaufgabe

Und was hilft dir im Blick auf das aufkommende Ohnmachtsgefühl bei all den Katastrophen? Wegschauen? Rückzug? Aktivismus?

Ich möchte echt häufiger Teil der Lösung als Teil des Problems sein. Und dies beginnt wohl mit dem ehrlichen, unbequemen Blick in den Spiegel.

Aber Achtung: Der Weg zum Ziel ist lang! Darum lass uns einen kleinen Schritt nach dem anderen gehen. Die Folge wird Glück für viele statt für wenige sein.

Zeigen Sie Mut!

Zum Nein-Sagen gehört oft mehr ‪Mut‬ als zum beschwichtigenden Ja,
das dem Nein aus dem Wege zu gehen sucht.
Wilhelm Vogel

Kürzlich sass ich mit einem Geschäftsführer einer gemeinnützigen Institution zusammen. Er hatte den Vorstand auf Probleme und Ungerechtigkeiten innerhalb der Organisation hingewiesen. Die Missstände wurden erkannt, Besserung versprochen – aber nichts geschah. Die Vorstände hatten nicht den nötigen Mut, die Unregelmässigkeiten konsequent anzupacken und unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Inzwischen hat der Geschäftsführer die Konsequenzen gezogen und seine Zukunft ausserhalb der Institution geplant.

Unweigerlich kam mir meine eigene Geschichte in den Sinn: Nach zehn Jahren Projekttätigkeit in einem Verband wollten die Verantwortlichen das Projekt einstellen. Als dieses Vorhaben die Runde machte, kamen etliche Mitglieder des Verbandes auf mich zu und gaben zu erkennen, dass sie mit diesem Entscheid überhaupt nicht einverstanden waren.

Aber auch da: Nichts geschah. Niemand hatte den Mut aufzustehen und zu sagen: „Das wollen wir nicht.“

In beiden Beispielen gab es Menschen, die eigentlich wussten, dass „man etwas hätte tun müssen“. Und wie viele Menschen sprechen tagtäglich davon, dass sie es ihrem Chef oder der Lehrerin der Kinder jetzt dann mal „schön sagen würden“?

Warum fehlt uns oft der Mut?

Leider ist es tatsächlich so, dass vielen Menschen im richtigen Moment eine Portion Mut fehlt. Ich sehe einige Gründe dafür:

  • Bequemlichkeit: „Kopfnicker“ sind zwar nicht unbedingt Gestalter, aber es lebt sich bequemer als Ja-Sager.
  • Gleichgültigkeit: Auch wenn sie zwar ein Unrecht erkennen, lässt es diese Menschen im Grunde kalt. Daher engagieren sie sich auch nicht für eine Veränderung.
  • Angst: Die Angst vor dem Unbekannten oder vor den Konsequenzen lähmt viele Menschen und verhindert so mutiges, engagiertes Handeln.
  • Menschenfurcht: Eine spezielle Form der Angst ist die Menschenfurcht. Leider fallen ihr unzählige Menschen zum Opfer. Weil diese Leute die Reaktion ihrer Mitmenschen fürchten, bleiben sie lieber stille Ja-Sager.

Engagiertes Handeln, aufstehen bei Ungerechtigkeit, ein Nein im richtigen Moment (aber auch ein Ja im richtigen Moment), den Status Quo in Frage stellen, Veränderung einläuten – all das erfordert Mut. Dazu müssen wir zu allererst unsere Gleichgültigkeit abstreifen und unsere Bequemlichkeit überwinden. Und dann gilt es, sich nicht von Angst oder Menschenfurcht blockieren zu lassen.

Zeigen Sie Mut!

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich “Arbeit“.