Eine inklusive Gesellschaft – Traum oder Utopie?

Es war ein spezieller Mix an Emotionen im Raum: Eine hoffnungsvolle Sehnsucht getrieben vom Traum einer inklusive(re)n Gesellschaft war genauso spürbar wie eine tiefe Traurigkeit darüber, dass viele Menschen die Erfahrung machen müssen, nicht dazuzugehören. 

Anlass dieser Emotionen war das letzte «Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott». Ich durfte mit Monika & Oliver Merz einen Talk über ihr Leben und ihre Leidenschaft führen. 

«Dazugehören – nicht nur dabei sein!» – dafür stehen Monika & Oliver Merz. Aus persönlicher Betroffenheit wissen sie, dass die Idee von Inklusion mehr als eine romantische Vorstellung einer heilen Welt ist: Die MS-Diagnose noch vor dem 20. Geburtstag machte für Oli deutlich, dass diese Krankheit sein Leben prägen wird. 
 
Und der Wunsch, Orte zu schaffen, wo alle willkommen sind – egal wie «queere» sie auch sind -, hatte sein ganz eigenes Preisschild für das Ehepaar Merz: «Es hat uns den Job gekostet!». 
 
Trotzdem bleiben sie bis heute an ihrem Traum dran und setzen sich als Paar für eine inklusivere Welt ein. Und wie könnte es aussehen, wenn dieser Traum lebt? Oli Merz zeigt es uns mit einem seiner Gedichte:  

inklusion 

ich bin anders so wie du – normal verschieden man merkt’s im nu 

nicht nur platz haben – sondern barrierefrei teilhaben 

keine keiner keines bleibt zurück – nicht mal ein kleines stück 

lieber alle gemeinsam – niemand bleibt einsam 

und dazugehören darf wer will – bei unrecht bleiben wir nicht still 

selbstbestimmt leben – so gut es geht anstreben 

inklusion statt exklusion – fertig mit spott und hohn 

ob es uns auch etwas kostet – besser als dass die solidarität verrostet  

nicht nur einschließen – nichts über uns ohne uns beschließen  

(aus dem illustrierten Gedichtband «kein larifari – auf der lebenssafari» von Oliver Merz
Thun: Verlag Mosaicstones, 2021, S.33)

Wie gesagt:
Da lebt bei mir eine hoffnungsvolle Sehnsucht auf.
Ja, genau!
Dafür will ich leben: «keine keiner keines bleibt zurück»!

Und gleichzeitig eine tiefe Traurigkeit: «und dazugehören darf wer will – bei unrecht bleiben wir nicht still». Es macht mich traurig – und auch wütend –, dass dies so oft nicht stimmt. So viel Unrecht wird Menschen angetan, die nicht in eine vordefinierte Norm passen. Und wer steht auf und prangert dieses Unrecht an?

Soll ich sie aufzählen, all die Geschichten, die mir gerade jetzt durch den Kopf gehen? Geschichten von Menschen, die sich Jahre, gar Jahrzehnte in Kirchen und Organisationen (oft freiwillig – also «gratis») voller Herzblut engagierten, oft auch mit einer inneren Dissonanz, weil es da ein «kleines» Geheimnis gab.

Dann kam der Tag, an dem das Geheimnis kein Geheimnis mehr bleiben wollte. Weil sie zu sich selbst stehen wollten. Und dann war Schluss mit lustig: «Dazugehören darf wer will» war gestern.

Was für ein Glück, wenn du einen Ort hast, wo du dazugehören darfst genauso wie du bist!

Und was machen wir mit dem Unrecht, dass dies nicht für alle selbstverständlich ist? Ich habe mich dem Traum einer inklusiveren Welt angeschlossen und träume von Orten, wo sich alle Menschen wohl und angenommen fühlen und Inspiration für ihr Leben und Glauben erhalten. 

Glücksaufgabe 

Heute mal eine Challenge für dich: Kennst du auch ein Mensch, der aus einer Organisation «rausgemobbt» wurde, weil sie/er/es anders ist? Dann zeig heute Mitgefühl mit dieser Person und verschenk auf eine kreative, passende Art etwas Liebe!

Und den Talk mit Merzes gibt’s auf anchor.fm/gmsstuden nachzuhören – oder überall dort, wo du deine Podcasts hörst.

Platz für alle. Wirklich?

«Mini Farb und dini, das git zäme zwee,
wäred’s drü, vier, fünf, sächs, siebe,
wo gärn wettet zämebliibe,
git’s en Rägeboge, wo sich laht lah gseh,
git’s en Rägeboge, wo sich cha lah gseh.»

Ja, dieser Regenbogen.

Immer wieder ein demütiges Staunen, wenn der Friedensbogen irgendwo am Himmel aufleuchtet.

Und leider in den letzten Jahren auch immer wieder ein Ärgernis, wenn im Namen der Vielfarbigkeit darüber gestritten wird, wer nun zu welchen Bedingungen unter diesem Bogen alles Platz finden darf.

«Wie konnte es nur soweit kommen, dass ein biblisches Zeichen als Symbol der Schwulen-Bewegung missbraucht wird?» monieren die einen, während andere auf Social Media stolz Flagge zeigen – wahlweise für mehr Frieden auf dieser Welt oder für Diversität und ganz grundsätzlich für ein respektvolles Miteinander.

Persönlich ist mir der Regenbogen in vielerlei Hinsicht sehr wichtig: Zuerst als Naturphänomen, das mich immer wieder in eine innere Verzückung führt.

Dann als biblisches Versprechen, dass Gott es gut mit dem Menschen meint und er seinen Friedensbogen über uns spannt.

Und schliesslich genauso wie ich es im oben zitierten Kinderlied viele Jahre gesungen habe: Als Symbol für eine diverse Gesellschaft, wo alle ihren Platz finden dürfen und wo wir gemeinsam stärker (und schöner!) sind als jede:r für sich.

Auf so vielen Webseiten von Vereinen, Kirchen und Clubs steht: Bei uns sind alle herzlich willkommen. Ach, wirklich?

Oft steht im ungeschriebenen Kleingedruckten: Du bist willkommen, wenn du dich unseren Normen und Formen anpasst.

Oder wie es mein Bruder in seiner Lebensgeschichte auf den Punkt bringt: Mäth – Ja, aber …

Alle gleich

Zum 30-Jahre-Jubiläum des Weltbestsellers «Der Regenbogenfisch» fand in der Presse eine würdigende, jedoch auch kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Kinderbuches statt.

Ist es nun eine schöne Erzählung über das Teilen oder doch eher eine versteckte Botschaft in Richtung Gleichmacherei: Alle müssen gleich werden, damit sie in unserer Gesellschaft akzeptiert werden?

So gab beispielsweise Julia Stephan im Bieler Tagblatt vom 15. Oktober 2022 zu bedenken:

Meine deutsche Mutter, die das Schweizer Wertesystem, seine ungeschriebenen Verhaltensregeln gerade erst zu durchschauen begann, gab mir ihre Interpretation dieser Geschichte mit auf den Weg: Das Schicksal des Regenbogenfischs, am Ende nur einer unter vielen zu sein, sei ein typisch schweizerisches Ärgernis: «Bloss nichts Besonderes sein, bloss nicht auffallen, sonst werden alle neidisch auf dich.»

Jede:r ein Original

Wenn alle gleich sind, wo bleiben denn dann all die schönen Farben? Ich wünsche mir eine Gesellschaft, wo jede:r seine/ihre Farbe einbringen kann und mit seiner/ihrer Identität und Originalität geschätzt und geliebt wird.

Unsere Tochter Joy und ihre Partnerin Loa setzen sich mit ihren wöchentlichen Schwumpf-Geschichten genau dafür ein: Die kleinen und grossen Hörer:innen erfahren in den sympathischen Tiergeschichten, wie eine Welt aussehen könnte, wo Diversität nicht bloss ein schönes Mode- oder gehasstes Reizwort ist. Hier leben unterschiedlichste Menschen mit ihrer Einzigartigkeit und Eigenheit nicht nur friedlich neben- sondern wertschätzend miteinander.

Die Autorinnen schreiben über ihr Projekt:

Der kleine Biber Marco hat zwei Papas, der Molch Anton sitzt im Rollstuhl und ein Hasenbaby kommt zu früh zur Welt… dies ist nur ein kleiner Einblick in unsere vielfältigen Kindergeschichten. Unser Ziel ist es, Diversität auf kindgerechtem Weg zu vermitteln. Die 10-15minütigen Tiergeschichten werden auf Schweizerdeutsch erzählt und sind gratis auf Spotify und Anchor zu finden.

Mein bisherige Lieblingsgeschichte handelt natürlich passenderweise auch vom Regenbogen: Das Eichhörnchen Mimi macht sich darin auf die Suche nach den unterschiedlichsten Familienformen und findet auf ihrer Suche sechs tolle neue Freunde. Alle haben ihre eigene Geschichte und gemeinsam entdecken sie den Regenbogen mit all seinen Schattierungen und Farbverläufen.

Dabei fasziniert mich, wie Unterschiedlichkeit nicht ausschliesst sondern Diversität zu einem bereichernden Miteinander führt. Jede:r hat etwas Besonderes an sich. Es geht nicht um «Norm-al»: Normal ist, dass wir unterschiedlich sind und dazu stehen dürfen – und nicht menschgemachten Normen entsprechen müssen. 

Glücksaufgabe

«Das Fremde muss nicht länger fremd bleiben.» Hab ich hier im GlücksBlog nach meiner Begegnung mit dem Juden und dem Imam geschrieben.

Für einige mag es (be)fremd(end) sein, dass der Regenbogen von der Diversitäts-Bewegung in Beschlag genommen wurde. Aus religiösen Gründen haben viele Mühe, wenn die Formen der menschlichen Sexualität aus dem konservativ-traditionellen Rahmen fallen.

In einem Referat hat der deutsche Theologe Michael Diener kürzlich sehr offenen über seine Entwicklung mit diesen Thema gesprochen.

Hier auch noch ein Lesetipp: Homosexualität: Auf dem Weg in eine neue christliche Ethik?
Und wer sich ganz grundsätzlich Gedanken darüber machen möchte, wie man glauben kann, wenn der Glaube aus der Kindheit plötzlich zu eng wird, findet in Wenn der Glaube nicht mehr passt: Ein Umzugshelfer von Martin Benz wertvolle Impulse um den eigenen Glauben weiterzuentwickeln.

Und natürlich empfehle ich herzlich die Schwumpf-Geschichte vom Regenbogen und den dazugehörenden Instagram-Kanal.