Nicht auf meine Kosten!

Gestern schaute ich mir einen Krimi an, indem sich ein Klimaaktivist nicht länger damit zufrieden gab, Plakate mit Warnbotschaften à la „Es gibt keinen Plan(et) B“ in die Luft zu strecken. Die Leute liessen sich davon weder beeindrucken noch bewegen, meinte er, darum bräuchte es jetzt ein kraftvolleres Vorgehen.

In seinem Fall hiess dies: Stromausfall im Stadtteil zu provozieren oder SUVs im Autohaus zu besprayen. Ich finde auch: Reden ohne zu handeln, bringt wenig. Doch aus meiner Sicht sind solche illegalen Aktionen, vor allem wenn andere zu Schaden kommen, wenig zielführend, resp. ethisch nicht verantwortbar. Mit kreativen Aktionen eine breite Bevölkerung auf eine notvolle Situation aufmerksam zu machen, ist das Eine. Mit einer solchen Aktion bewusst jemandem Schaden zuzuführen, ist etwas anderes.

Die Ansicht, dass es höchste Zeit ist zum Handeln, teilen inzwischen viele. Die farbigen Plakate der streikenden Klimajugend und die eindringlichen Worte von Greta alleine reichen nicht aus. Doch wie so oft herrscht grosse Uneinigkeit, wie der Weg zum Ziel auszusehen hat. Die hochemotionalen Debatten rund um die drei Umweltvorlagen, die am 13. Juni zur Abstimmung kommen, geben einen Eindruck davon.

Stolz auf „gesunden Volksverstand“

Unser Schweizer System mit der direkten Demokratie ist einzigartig und erhält viel Bewunderung. Ich erinnere mich, wie wir Freunden in Chicago unser System zu erklären versuchten. Gary stellte erstaunt und bewundernd fest, dass ein so kleines Land weltweit in vielen Bereichen top aufgestellt und nie in grosse Konflikte verwickelt sei.

So sehr ich eigentlich Freund von klarem Leadership bin, so sehr überzeugt mich der Schweizer Weg mit einem Mix von Neutralität, Kollegialitätsbehörden und direkter Demokratie. Gerade der Volkswille hat eine ausgleichende Kraft und unser System mag zwar schwerfällig sein, doch wir holen alle anderen Länder wieder auf, weil wir nicht den mühsamen Zickzack-Kurs von links nach rechts, von Regierung zu Opposition gehen müssen. Als lösungsorientierter Mittepolitiker ist mir diese Lösungssuche in Sachfragen sowieso viel lieber als ein starres Rechts-Links-Muster.

Auch wenn ich persönlich nicht mit jeder Abstimmung glücklich bin, erfüllt mich die Schweizerische Eigenheit mit den regelmässigen Willensbekundungen der Bevölkerung mit Stolz und Dankbarkeit. Dankbarkeit, in einem Land leben zu dürfen, in dem das Wir über wichtige Frage entscheiden darf. Und Stolz, weil der Volkswille nicht einfach von einem „Volksegoismus“ getrieben ist, sondern ganz oft die Vernunft über persönlichen Vorteilen obsiegt.

Noch immer habe ich einen deutschen Kollegen im Ohr, der meinte, es würde wohl kein anderes Land per Volksabstimmung zusätzliche Ferienwochen ablehnen. Während mir in der ganzen Corona-Diskussion doch erhebliche Zweifel am viel zitierten „gesunden Menschenverstand“ kamen, glaube ich an so etwas wie einen „gesunden Volksverstand“. Als Einzelne mögen wir uns in einer Sache verrennen, als Volk werden wir gemeinsam immer wieder einen gangbaren Weg finden.

„I bi dr gäge – wägem Töfflifahre“

Dieser „gesunde Volksverstand“ funktioniert aber nur so lange gut, wie wir alle die Fähigkeit besitzen, einen Schritt zurückzutreten und versuchen eine Sachlage in grösseren Zusammenhängen als der eigenen Lebensrealität zu betrachten.

Die gegenwärtigen Diskussionen um das CO2-Gesetz zeigen, wie umkämpft dieses Miteinander vom Ich und dem Grossen Ganzen ist. Meinem Sohn, der den haushälterischen Umgang mit seinem Jugendlohn noch am Einüben ist, kann ich verzeihen, wenn er, im Grunde atypisch für seine Ansichten, auf SVP-Parolen aufspringt und sagt: „Ich würde nein stimmen, ich will doch nicht, dass die Tankfüllung für mein ‚Töffli‘ (Mofa) teurer wird.“

Dass seine Rechnung wahrscheinlich nicht mal stimmt, weil er ja Töffli fährt, aber nicht in der Welt herumjettet und somit mehr Geld zurückkriegt, ist hier nur eine Nebensache.

Was mich beschäftigt, ist, dass der „gesunde Volksverstand“ genauso wie der „gesunde Menschenverstand“ bedroht ist. Er wird verloren gehen, wenn wir uns vom bequemen Egoismus treiben lassen: Der persönliche Profit sollte nicht das Mass aller Dinge sein bei unseren Entscheidungen – weder bei Volksabstimmungen noch im persönlichen Verhalten.

Ganz nach dem Motto: Klimaneutralität ist super – so lange ich mich nicht beschränken muss. Windenergie ist super – so lange das Windrad nicht in meiner Nähe aufgebaut wird.

Ich hoffe, dass auch bei den kommenden Abstimmungen der „gesunde Volksverstand“ über den persönlichen Profit gewinnen wird.

Glücksaufgabe

Beteilige dich an der Abstimmung, denn das macht glücklich.

Mindestens die Tatsache, dass wir die Möglichkeit haben, via Volksabstimmungen zu partizipieren macht nachweislich glücklich (das zeigen Ländervergleiche). Ob wir das Stimmrecht auch wirklich beanspruchen, ist dann eine andere Sache.