Stress in der Familie

Regelmässig darf ich im family Magazin eine Kolumne für die Rubrik „Das hilft mir, wenn …“ beisteuern. Für eine der letzten Nummern hatte ich die Aufgabe, etwas zum Thema „Das hilft mir, wenn der Haussegen schief hängt“ zu schreiben.

Stress in der Familie – das ist ja gerade zu Corona-Zeiten ein noch aktuelleres Thema als sonst. Wer Homeoffice und Familienalltag – an einigen Orten sogar Homeschooling/Fernunterricht – unter einen Hut bringen muss, ist tatsächlich gefordert. Gut möglich, dass da der Haussegen ab und zu mal schief hängt.

Hier also, was mir in solchen Situationen hilft:

Früher war das einfach. Gabs tagsüber Ärger, reichte es, abends einige Minuten neben dem schlafenden Kind zu verweilen: Sämtlicher angestaute Groll verschwand. Der Anblick meines schlafenden Kindes hatte eine beruhigende Wirkung und füllte nebenbei meinen Tank mit Liebe, Dankbarkeit und Vaterstolz.

Leider sind wir aus dieser Phase herausgewachsen. Heute, mit zwei Teenagern, ist vieles komplizierter und der Vater ist beim schlafenden Kind nicht mehr erwünscht – und schläft zu dieser Zeit meistens sowieso schon.

Bin ich durch die Arbeit gereizt und geht es dann in unserer Familien-WG chaotisch und laut zu und her, wird es ungemütlich. Gelingt es uns zusätzlich als Paar nicht, als Team am selben Strick zu ziehen, hängt der Haussegen definitiv schief.

In solchen Situationen hilft mir, wenn ich zuerst wieder zu meiner Balance finde: Ich schaff mir eine Oase um ausgeglichener zu werden. Eine kleine Fahrradtour, das Vollbad oder Tagebuchschreiben.

Nach der Beziehung zu mir selbst muss die Beziehung als Paar geklärt werden: Wie geht es uns? Wie können wir wieder am selben Strick ziehen? Uns hilft das Reden auf dem morgendlichen Spaziergang. Und wahrscheinlich bin ich nicht der einzige Mann, der sich nach dem Sex wieder besonders geliebt und ausgeglichen fühlt …

Von den unberechenbaren Teenagern versuche ich weniger einzufordern, sondern mich überraschen zu lassen: Zum Beispiel, wenn sie ihre Liebe zu mir darin zeigen, dass ein Dialog für einmal über ein „Ja.“ – oder öfters „Nein!“ – hinausgeht. In solchen Situationen liegt es dann an mir, mich bei meiner Tätigkeit unterbrechen zu lassen und meine volle Aufmerksamkeit auf mein Kind zu richten.

Dieser Artikel ist zuerst als Kolumne in der Rubrik „Das hilft mir, wenn …“ im Magazin family erschienen.  

Glücksaufgabe

Wie würde diese Kolumne klingen, wenn sie aus deiner Feder stammen würde?
Konkret: Was hilft dir, wenn der Haussegen schief hängt?

Versuche konstruktive Wege in den drei oben erwähnten Bereichen zu finden:

  • Guter Umgang mit mir selbst: Wie finde ich eine gute Balance?
  • Für Paare: Wie könnt ihr eure Partnerschaft stärken?
  • Für Eltern: Beziehung vor Erziehung – was hilft dir, eine stabile Beziehung zu deinen Kindern aufzubauen?

Das neue Normal

Das hat mich genervt: Es waren kaum drei Wochen vergangen, seit wir zum allgemeinen „auf Distanz Gehen“ verdonnert wurden, da überfluteten schon zig Influencer, Sängerinnen und andere Promis die Social Medias mit dem Aufschrei: „Oh, ich vermisse es so sehr euch zu umarmen!“. Haben wir wirklich keine grösseren Probleme?

Wird das jetzt normal?

Ich meine, ich vermisse die Nähe tatsächlich auch. Ob der Handschlag, die Umarmung oder die kollegiale Berührung – für mich gehört das zum „normalen“ zwischenmenschlichen Umgang. Und ich vermisse es!

Doch sobald im ganzen Land diese roten Plakate hingen und uns der Bundesrat „Hände waschen!“, „Abstand halten!“ eingetrichtert hatte, war für mich klar: Ich muss jetzt niemandem beweisen, dass ich keine Angst habe oder ich dem Gegenüber besonders vertraue und wir uns daher weiterhin umarmen könnten.

Nein, Solidarität hies ab sofort: Physische Distanz wahren. (Dabei hatte ich ende Februar schon ein mulmiges Gefühl, als wir uns beim Gebet während dem Kongress in Karlsruhe noch „mutig“ die Hände gaben.)

Und da hat mich dann eben der Aufschrei der Influencer („Ich kann nicht mehr warten, bis wir uns wieder drücken können!“) genauso genervt wie Menschen, die es als besonderes Zeichen der Freundschaft interpretieren, wenn man sich weiterhin per Handschlag begrüsst.

Unwohl wird es mir aber tatsächlich beim Gedanken daran, dass diese Distanz das neue Normal sein könnte – mind. für die nächsten Monate, eher Jahre:

Dauert das ein paar Monate, vielleicht ein Jahr, lässt sich damit leben. Sollte es aber zu den befürchteten Jo-Jo-Shutdowns kommen, erwarten Forscher bei einer Generation Störungen, mit Intimität umgehen zu können.

So las ich es in der NZZ am Sonntag in einem Artikel über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Jugendlichen.

Ich hab hier schon vor drei Wochen geschrieben, dass ich mich an eine solche neue Normalität mit „Social Distancing“ nicht gewöhnen möchte.

Wahrscheinlich bleibt uns aber nichts anders übrig und das macht mich traurig, unsicher und fragend: Wie könnten wir denn eine solche neue Normalität gestalten, damit wir dabei nicht krank werden?

Zuerst müssen wir wohl einfach trauern und die Tatsache verdauen, dass wir – mindestens wenn wir zu den Menschen gehören, die diese Nähe brauchen (es gibt ja auch solche, tendenziell introvertiert veranlagte Menschen, die gerade aufblühen in der gegenwärtigen Stille) –  mit dem Verlust der physischen Nähe leben müssen.

Chancen entdecken

Dann gilt es herauszufinden, welche Chancen das neue Normal mit sich bringt: Was habe ich in der Corona-Zeit schätzen gelernt, was ich mit in die neue Normalität nehmen will?

Drei Begegnungen dieser Woche haben mir da mögliche Perspektiven aufgezeigt:

Da habe ich bei einer globalen Online-Weiterbildung vom CEO der Southwest Airlines gehört, der sich für jeden seiner 60 wichtigsten Mitarbeitenden je eine halbe Stunde fürs persönliche Zoom-Gespräch genommen hat – mitten in dieser Krise, die alle Airlines hart trifft. Patrick Lencioni, der dieses Beispiel und jenes von Arbeitskollegen, die sich nun nach dem Gesundheitszustand der Grossmutter des einen Kollegen erkundigten, erzählte, fragte: „Wollen wir solche Dinge nach der Krise einfach stoppen und zu ‚Business as usual‘ übergehen?“ Nein, die persönliche Note und gegenseitige Anteilnahme, die durch – oder trotz – Homeoffice im Arbeitsalltag Einzug gehalten haben, soll Teil vom neuen Normal sein.

In einer Zoom-Besprechung mit einem (introvertierten) Arbeitskollegen spürte ich, wie er der aktuellen Situation viel Gutes abgewinnt. Er sieht neue Chancen, hat es genossen, ohne Gerangel in einer grossen Halle und ohne Flugreise aus seinem Büro heraus Teil eines Kongresses zu sein. Wollen wir nach der Krise wieder dem „Megaismus“ verfallen und von einem Event zum nächsten fliegen? Nein, die gerade entdeckten und schätzen gelernten (technischen) Möglichkeiten auch auf Distanz miteinander verbunden zu sein, soll Teil vom neuen Normal sein.

Die oben bereits erwähnte Ausgabe der NZZ am Sonntag enthält auch eine Kolumne vom Kreativkopf Dennis Lück. Er schreibt:

Solche Aktionen verbreiten Energie. Sie inspirieren mit der Willenskraft, die sich dahinter verbirgt. Hinter jedem kleinen Trotzdem steckt ein Mensch mit einem Kämpferherzen, der verstanden hat, dass es nicht um das perfekte, sondern um das schlichte Weitermachen geht. … Es tröstet zwar wenig, aber es scheint ein Fakt, dass die Schweiz noch nie so sehr vor kreativer Energie gestrotzt hat wie jetzt.

Begnügen wir uns wieder mit dem Status quo, wenn wir die Krise überwunden haben? Nein, diese kreative Energie verbunden mit einem Kämpferherzen soll Teil vom neuen Normal sein.

Egal wie weit weg er noch ist, ich freu mich schon auf den Tag, wenn Umarmungen, Handschlag und Küsschen wieder „erlaubt“ sind. Doch selbst, wenn dieser Tag nicht kommen sollte: Das neue Normal soll nicht durch Einschränkungen definiert werden, sondern von Dingen, die wir mit neuem Bewusstsein aktiv gestalten.

Glücksaufgabe

Wenn nächste Woche ein Schritt Richtung neuer Normalität begangen wird, was willst du aus der Lockdown-Zeit in dieses neue Normal „rüber retten“?