Das macht mich traurig!

An der Beerdigung meiner Grossmutter schluchzte mein Onkel herzhaft. Das hat mich berührt. Ich kann das nicht. Flennen tu ich sehr selten.

Überhaupt: Meine Frau reagierte sehr erstaunt, als ich ihr davon erzählte, dass ich diesmal für die Family-Kolumne «Das hilft mir, wenn …» über Traurigkeit schreiben soll. «Traurig? Du bist doch gar nie traurig», gab sie zu bedenken.

Das heisst jetzt nicht, dass ich eine immer lächelnde Frohnatur bin. Aber die Emotion Traurigkeit ist tatsächlich weniger Teil meines Repertoires. Wenn sich die Tage bei mir grau anfühlen, hat dies eher mit Enttäuschung oder Frustration zu tun.

Aber es gibt schon etwas, das mich traurig macht: Ob christliche Kirche oder Gesellschaft als Gesamtes – es ist mein Wunsch, dass wir Menschen uns weniger in Grabenkämpfen verlieren, und wir dafür vermehrt zu Brückenbauer werden. Es muss nicht jede und jeder die Welt aus der gleichen Brille betrachten und alle sind eingeladen, ihre eigene Farbe ins grosse Bild der Menschheit einzubringen, doch die Art, wie dies oftmals geschieht, macht mich traurig.

Ich habe recht und du bist ein Idiot

Der Riss mitten durch die Gesellschaft («Social Splitting») nimmt diese Tage eine beängstigende Tiefe an. Die Corona-Pandemie spaltet Familien, Freunde und eben auch uns als Gesellschaft: Anfangs war Nachbarschaftshilfe gross in Mode, doch mit der Zeit ging es mehr und mehr darum, dem anderen das eigene Weltbild aufzudrücken. Und das Covid-Zertifikat bildet das Symbol des gegenwärtigen Tiefpunkts der gesellschaftlichen Spaltung.

Es gibt Fragen – rund um Corona oder auch das in christlichen Kreisen heisse Eisen Homosexualität – die sind so komplex, da hüte ich mich vor einfachen Antworten. Leider finden aber gewisse Menschen sich grundsätzlich kompetent genug, immer und überall besserwisserisch aufzutreten und dann bald mehr Hass als Liebe zu säen.

Das macht mich traurig.

Was mir darin hilft? Emotionen sind die Sprache der Seele. Also will ich erst einmal zuhören: Was will mir diese Emotion sagen? Tagebuch oder Spaziergang helfen mir beim Sortieren. Nach der Reflexion sollte die Aktion folgen. Die Emotion führt dazu, dass ich erst recht von einer besseren (Christen)Welt träume, die von einem liebevollen Miteinander geprägt ist. Und dafür will ich mich einsetzen – ob mit oder ohne Tränen im Gesicht.

Dieser Artikel ist (in etwas gekürzter Version) zuerst als Kolumne in der Rubrik „Das hilft mir, wenn …“ im Magazin Family und FamilyNEXT erschienen.  

Glücksaufgabe

Tatsächlich fällt es auch mir nicht einfach, in Diskussionen immer liebevoll zu bleiben. Die beiden genannten und in der Schweiz sehr aktuellen Themen («Ehe für alle» und Corona-Zertifikat) haben auch bei mir das Potenzial, hohe Wellen zu werfen. Zu beidem habe ich eine klare Haltung, die in gewissen Kreisen nicht gerne gehört wird. Wie schaffe ich es, ruhig meine Argumente vorzubringen ohne mein Gegenüber zu denunzieren?

Ich versuche, meine Überzeugungen und Erfahrungen ruhig in Diskussionen einzubringen – mit der Offenheit, dass ich mich irren kann (weil die Themen ja eben hochkomplex sind) und mein Gegenüber seine unterschiedliche Meinung behalten kann.

Mehr Glück im Leben erfährt, wer nicht immer recht haben muss und wer mit der Haltung «Es ist genug Liebe für alle da» seinen Platz in der Gesellschaft einnimmt.

Trump, Schläpfer und die Ehe für alle

Der Andersdenkende ist kein Idiot,
er hat sich eben eine andere Wirklichkeit konstruiert.

Paul Watzlawick 

Die letzten zehn Tage lieferten wunderbares Anschauungsmaterial über den Zustand unserer Diskussions- und Streitkultur. Völlig verschiedene Themen, selbes Phänomen: Während einige wenige um eine sachliche, differenzierte Sichtweise bemüht sind, schiessen viele andere einen giftigen Pfeil nach dem anderen los, um entweder den eigenen Standpunkt lauthals klar zu machen oder um bewusst „den Feind“ empfindlich zu treffen.

In der direkten, persönlichen Begegnung mit dem Andersdenkenden gehen die Wogen in der Regel nicht ganz hoch – soviel Anstand ist uns noch geblieben. Es ist für viele auch eine (gesunde) Hemmschwelle, jemandem, der uns gegenüber sitzt, den wir persönlich kennen gelernt haben und mit dem uns vielleicht sogar eine Freundschaft verbindet, ehrverletzende Giftpfeile ins Gesicht abzufeuern.

Anders ist das in den Begegnungen in der digitalen Welt. Getarnt hinter dem sicheren Bildschirm, ausgerüstet mit der kraftvollen Tastatur wird der Mensch zum Tier. In E-Mails wurden mir schon Dinge zugemutet, die hätte mir der Absender in einem persönlichen Gespräch niemals an den Kopf geworfen.

Doch das war gestern, heute sind wir noch einen Schritt weiter: Debattiert wird heute auf Facebook. Und da verlieren einige nette Zeitgenossen tatsächlich hin und wieder jeden Sinn für Anstand. Man vergisst scheinbar, dass das, was man gerade in die Tastatur hämmert, nicht nur auf dem eigenen Bildschirm wiedergegeben wird, sondern häufig rund um den Globus „bestaunt“ werden kann.

Je anonymer umso besser: Während man auf Facebook noch mit seinem Namen für seine Meinungsbekundungen hinstehen muss, gibts in den Online-Kommentaren kein Halten mehr: Jede und jeder kann da unter einem Pseudonym seinen Frust loswerden und den Andersdenkenden verunglimpfen.

Wären Facebook und Online-Kommentare eine Art Klagemauer, an denen man Wahlniederlagen, Entlassungen oder andere Meinungen bedauern würde, könnten sie vielleicht sogar eine reinigende Wirkung haben – wie ein Gewitter nach einem Hitzetag.

Doch so scheint es mir selten zu sein. In der Regel arten die Äusserungen in regelrechte Grabenkämpfe aus und jeder Blitz dieses Gewitters ist ein Schlag ins Gesicht des Andersdenkenden. Geschrieben ist schnell, manchmal schneller als reflektierte Gedanken möglich sind, ein Blitz folgt auf den nächsten.

Wir haben immer eine Meinung, zu allem. Und einige müssen diese auch immer unaufgefordert loswerden – und schon wird wieder etwas in die Tastatur gehämmert, was wenig respektvoll, dafür sehr verletzend für unsere Mitmenschen ist.

„Ich habe mir dazu noch keine Meinung gebildet, aber rufen sie mich in 10 Tagen wieder an“, so würde Bill Hybels hin und wieder Journalistenanfragen beantworten, hat er kürzlich gesagt. Wenn sich ein so einflussreicher Leiter einer globalen Bewegung leisten kann, nicht zu allem eine Meinung zu haben (oder mindestens keine Meinung, die er öffentlich bekunden muss), sollten vielleicht auch wir lieber einmal weniger als einmal zu viel eine Meinung haben, die wir unreflektiert in die Welt hinausposaunen.

Möglicherweise würden nun doch einige noch gerne wissen, was ich zu Trump, Schläpfer und die Ehe für alle denke. Nur so viel: Die Erfahrung der letzten Woche, aber auch meine Erfahrung über die letzten Jahre, zeigt mir, dass Andersdenkende tatsächlich nicht unbedingt Idioten sein müssen. Man kann aus guten Gründen zu einer differenzierten, unterschiedlichen Ansicht kommen. Und: Man kann sogar durch Nachdenken seine Meinung verändern und weiterentwickeln. Ist erlaubt, hat mir selbst schon geholfen!

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die lernt, andere Meinungen auszuhalten. Ich muss das selbst aber noch etwas üben …

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich Gesellschaft“.