Die Kunst, selber zu denken

Selbstdenken ist der höchste Mut.
Welche wagt, selbst zu denken,
die wird auch selbst handeln.

Bettina von Arnim

Neulich – es war die Woche der Trump-Wahl – sassen wir mit einem befreundeten Paar beim Frühstück. Wir sprachen über dies und das, auch über unsere Arbeit als Künstler und Referenten. Wir vier waren uns einig: Kunst und Bildung sollen zum Selberdenken anregen und nicht alle möglichen Fragen mit schnellen Antworten auf einfache Weise zu klären versuchen.

Einig waren wir uns aber auch, dass genau dies in gewissen Kreisen nicht gefragt ist. Mehr noch: Angebote, die zum selbständigen Weiterdenken einladen, sind oft Nischenprodukte. Tragischerweise lassen viele Menschen lieber andere für sich denken, als dass sie sich die Mühe nehmen würden, sich selbst ein möglichst breites Bild zu verschaffen und selbständig nach Antworten zu suchen.

Wer selber denkt, merkt dann wahrscheinlich auch, dass es oft die eine einfache Antwort gar nicht gibt. Das Leben ist viel komplexer. Und das macht das Selberdenken ja auch so anstrengend. Es ist viel einfacher, nachzuplappern, einer Masse nachzulaufen und Meinungsmacher anzuhimmeln, als einmal einen Schritt zurückzutreten und eine Situation mit etwas Distanz zu betrachten, nachzudenken und sich eine eigene Meinung zu bilden.

Worte sind schnell gemacht, Taten lassen oft lange auf sich warten. Wer nur die – oftmals polarisierenden – Standpunkte der lautstarken Meinungsmacher repetiert und auf deren Taten wartet, macht es sich zu einfach. Und das selbst der, welcher noch vor wenigen Wochen mit krassen Parolen Schlagzeilen machte, nun vor den Taten zurückschreckt, zeigt doch, dass die lauten Töne nicht unbedingt die nachhaltigsten sind. (Wobei wir in diesem Fall wohl dankbar dafür sein können, wenn nicht alle lauthals angepriesenen Instantlösungen umgesetzt werden.)

Leider haben es Menschen, die in ihrem Bereich (ob Kunst, Bildung oder Kirche; schön zu beobachten aber auch in der Politik) andere Leute mit einer differenzierten Herangehensweise zum Weiterdenken einladen, nicht immer leicht. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit einem Thema ist nicht wirklich schlagzeilentauglich. Und die Menschen sitzen lieber in einem Stadion voller Gleichgesinnten, als dass sie den Andersdenkenden und seine Sichtweise kennen lernen wollen.

Und so suchen wir dann das Polarisierende, das Trennende: Pro oder contra? Schwarz oder weiss? Ja oder nein? Links oder rechts? Trump oder Clinton? 

Doch diese Verkürzung von komplexen Zusammenhängen schafft Fans und Gegner. Aus dem Meinungsaustausch und dem Kennenlernen unterschiedlicher Ansichten wird ein Kampf. Wir gegen sie! Statt Brücken zu bauen, pudeln wir immer tiefere Gräben. Statt aufeinander zu, bewegen wir uns immer weiter voneinander weg. Statt dem Miteinander eine Chance zu geben, zementieren wir das Gegeneinander.

Einigen macht diese Tendenz zu Extrempositionen Angst und sie sehen schon den nächsten Weltkrieg anklopfen. Mich macht es mindestens traurig. Traurig, dass wir Menschen es immer noch nicht schaffen, den anderen zu respektieren, das Fremde (den Fremden) zu lieben, einander zu verstehen und wo das nicht möglich ist, einander wenigstens stehen zu lassen, ohne den Anspruch zu haben, die eigene Wahrheit sei die absolute Wahrheit.

Übrigens, wer schon mal das Stockhorn von Thun und dann vom Niederhorn aus betrachtet hat, weiss, dass der eigene Standpunkt nie die volle Wahrheit sagt.

Lasst uns selberdenken, ohne den Andersdenkenden zu diskreditieren.
Lasst uns mutig sein und Brücken bauen, statt Gräben zu graben.
Lasst uns handeln und nicht nur blind den Wortführern folgen. 

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich “Selbst

«You & Me» – Du & ich

Der Mensch für sich allein vermag gar wenig
und ist ein verlassener Robinson;
nur in der Gemeinschaft mit den anderen
ist und vermag er viel.

Arthur Schopenhauer, deutscher Philosoph (1788 – 1860)

Das hat Schlagzeile gemacht: Die Heilsarmee will die Schweiz am Eurovision Song Contest 2013 in Malmö vertreten. Unter dem Motto Heilsarmee rocks Malmö wurde ein spannendes Projekt gewagt, das sich sehen lässt: Eingängiger, rockiger Song, ansprechender Text und geniale, originelle Umsetzung. Die Idee hat mich sofort begeistert.

Wenn der 20jährige zusammen mit dem 94 Jahre alten Senior You & Me rockt, dann ist das ein überzeugendes Zeichen, dass hier tatsächlich gelebt wird, was im Song beschrieben wird: „Verkündet von nah und fern wie es eigentlich gemeint ist: wir gehören zusammen, du und ich.“ Würde das irgendeine Babyface-Boygroup, zusammengestellt durch eine Castingshow, vom süffisant lächelnden Dieter Bohlen angepriesen, singen, wäre es ein nettes Liedchen rund um kuschelige Harmonie, die wohl schon hinter der Bühne vorbei wäre. Aber so – die Heilsarmee, eine Marke die für Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Engagement für die Gesellschaft steht, eine Band, die ausstrahlt, was sie singt und dadurch authentisch wirkt, ein Song, der deutliches Ohrwurmpotenzial hat – mir gefällt dieser Mix.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=FKbzOIab0yM[/youtube]

Der von der erfolgreichsten Musikproduzentin der Schweiz, Hitmill, produzierte Song You & Me besingt nicht einfach eine heile Welt, die mit unserer Realität nichts zu tun hat. Im Gegenteil. Der Anfang ist ganz schön gesellschaftskritisch, wenn es da heisst: „Wenn die Zeiten rauer werden und Gold und Silber zu Staub zerfallen. Wenn Menschen aus Eifersucht und Hass Barrikaden bauen.“  

Und so wird das Heilsarmee-Projekt zum eindrücklichen und glaubwürdigen Aufruf an uns alle: Lassen wir die Barrikaden einstürzen und suchen stattdessen das Verbindende zwischen dir und mir. Nicht Barrikaden aus Eifersucht und Hass, aber auch nicht Gold und Silber, sind die Dinge, die uns als Menschen weiterbringen. Was wir brauchen, sind Brückenbauer, Menschen, die sich statt Fäuste offene Hände entgegenstrecken. Wir brauchen Menschen, die verbindend wirken. Zum Beispiel genau wie diese Heilsarmee-Band: Eine Verbindung zwischen Generationen herstellen. Oder: Eine Verbindung zwischen arm und reich, In- und Ausländer, gesund und krank, stark und schwach…

You & Me – du & ich. Wie können wir gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Ort etwas mehr Lebensqualität für uns alle bietet?

Mir selbst wurde letzte Woche aufs Neue bewusst, dass ich etwas habe (ich weiss selbst nicht wirklich, was es ist), dass ich zu geben habe. In unserer sozial-diakonischen Kinder- und Familienanimation hatten wir die vier schönsten Tage im Vereinsjahr, die Happy Kids Days. Als Organisator und Verantwortlicher fürs Mitarbeiterteam bin ich in dieser Kinderwoche oft eher im Hintergrund. Doch die Kids geniessen es, wenn ich mich direkt mit ihnen abgebe. „Irgendetwas“ scheint anzukommen, wenn ich mich mit dem Einzelnen beschäftige. Ich werde zum Kumpel und zum Vorbild.

Diese Erfahrung zusammen mit dem Heilsarmee-Song spricht zu mir: Ja, ich will mich für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft engagieren. Ich will mich nicht mit „Bürokram“ vollstopfen, mich nicht endlos um Silber und Gold drehen und schon gar nicht Barrikaden aus Hass und Eifersucht aufrichten.

You & Me – du & ich. Wir können einen Unterschied in dieser Gesellschaft machen. Packen wir es an!

Und übrigens: Ein erster, einfacher Schritt könnte ja sein, in der Vorausscheidung für den Song der Heilsarmee zu stimmen. Wie hat es Georg Schlunegger von Hitmill treffend gesagt: „Wenn Zero Points, dann wenigstens für einen guten Zweck.“

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.