Glücksirrtum Nr. 1: Egoisten sind glücklicher

Unsere guten Taten sorgen für Verzückung in unserem Gehirn und führen zur Ausschüttung von unterschiedlichen ‪Glückshormonen‬.
Stefan Gerber (in: Glück finden – hier und jetzt)

Glück ist weniger ein Ziel, das man avisieren kann und eines Tages für immer aufgefunden hat. Glück hat mehr mit einem Weg zu tun, für den man sich entscheidet. Glück hat  mit der Art zu tun, wie man sein eigenes Leben gestaltet.

Die Positive Psychologie hat erforscht, wie wir auf diesem Weg unser Glücksniveau steigern können. Die Forscher wollten wissen, was den diese Lebensart auszeichnet, die unser Glücksempfinden nachhaltig vergrössert.

Der grosse Irrtum

Und genau diese Glücksforschung hat einige Überraschungen auf Lager. Sie räumt mit einigen gern geglaubten Glücksirrtümer auf. Ich habe meine Topten Liste von solchen Irrtümer rund ums Glück zusammengestellt und werde mich in den nächsten Wochen hier im Blog jeweils einem solchen Glücksirrtum widmen.

Zuvor aber noch zur Frage, wie es denn zu diesen Glücksirrtümer kommen konnte. Dazu ein Abschnitt aus dem Glücks-Buch:

Weil sich jeder Mensch seine eigenen Gedanken zum Thema Glück macht, stellt auch jeder – bewusst oder unbewusst – seine eigene Glückslogik zusammen. Dies führt zu Glaubenssätzen. Eine solche innere, selbst aufgestellte Logik könnte lauten: Geld macht glücklich, darum muss ich mich besonders stark anstrengen, um einen gut bezahlten Job zu bekommen.
Die Glücksforschung fördert aber erstaunliche wissenschaftliche Resultate zutage, die nicht selten landläufige Glückslogiken in Frage stellen.

Das mit dem Geld ist tatsächlich ein solcher Glücksirrtum, aber erst Nr. 5. Beginnen will ich mit einem anderen.

Glücksirrtum Nr. 1: Egoisten sind glücklicher

Manchmal sagt man salopp: „Wenn jeder für sich schaut, ist für jeden geschaut.“ Das stimmt erstens so nicht und zweitens macht diese Haltung nicht glücklich.

Es mag ein erstaunlicher Befund sein, aber der neurologische Glücksforscher Dr. Tobias Esch schreibt klipp und klar: “Egoismus wird nicht nachhaltig belohnt, wie wir heute wissen. Benötigt für den langfristigen Erfolg (und biologisch gefördert) wird dagegen Teamfähigkeit, gemeinsame Erfahrungen, wozu Menschen wiederum ermutigt, eingeladen und inspiriert werden müssen”. (im Fachbuch Die Neurobiologie des Glücks)

Die 16 Glücksaktivitäten, die ich bei der Positiven Psychologie entdeckt und im Glücks-Buch vorgestellt habe, bedeuten harte Zeiten für den Egoisten. Denn: Mindestens die Hälfte davon widersprechen einem egoistischen Lebenssstil. Nicht der Egoist, der sich nur auf sich selbst fokussiert, erlebt das grössere Glück, sondern der dankbare, grosszügige, vergebensbereite, liebevolle Mensch hat die Lebensart des Glücks verstanden. Aber auch Glücksaktivitäten wie „Guter Umgang mit sich selbst“, „Achtsamkeit“ oder „Berufung leben“ sind nicht als Einladung zu mehr Egoismus zu verstehen.

Vielleicht hätten wir diesen Befund, dass Egoisten nicht glücklicher sind, eher aus einem philosophischen und sicher aus einem religiösen Lehrbuch erwartet. Doch, wenn sogar die Neurobiologie zum Schluss kommt, dass Gemeinschaftssinn und Grosszügigkeit glücklicher machen, als Egoismus, lässt das aufhorchen: Unser Gehirn ist nicht auf Egoismus ausgelegt, sondern auf Gemeinschaft, Teamfähigkeit und gemeinsame Erfahrungen!

Lesen Sie weiter:

Glücksfaktor Nächstenliebe

Menschen, die freiwillig helfen, mehr spenden und verschenken,
und solche, denen andere vertrauen, diese Menschen sind glücklicher!
Prof. Dr. med. Tobias Esch (in: Die Neurobiologie des Glücks)

Ich zögere: Soll ich im Titel dieses Artikels wirklich Nächstenliebe schreiben? Ist das Wort nicht abgedroschen und allzu „frömmlich“ aufgeladen? Mitmenschlichkeit, Altruismus, Philanthropie oder Wohltätigkeit, ja – aber Nächstenliebe?

Die Neurobiologie und die Positive Psychologie haben Erstaunliches herausgefunden: Gutes tun hilft – und nicht nur dem, dem geholfen wird, sondern auch dem, der hilft! Nun gut, so erstaunlich ist das nun auch wieder nicht. Die Wissenschaft unterstreicht einfach das, was der Theologe durch sein Bibelstudium (und hoffentlich auch durch sein praktisches Handeln) längst weiss: Die Nächstenliebe ist nicht nur ein Gebot Gottes, sie ist auch ein Glücksfaktor, eine zentrale Tugend für ein gelingendes Leben.

Wenn die Bibel sagt: „Geben macht glücklicher als Nehmen“, ist das nicht einfach eine verstaubte, religiöse Lebenshaltung. Es ist nicht weniger als ein gesundheitsförderndes Lebensprinzip, das auch einem Praxistest im 21. Jahrhundert standhält.

Und genau dies bestätigt inzwischen die Wissenschaft. Die Psychologie Professorin Sonja Lyubomirsky sagt dazu in ihrem Buch Glücklich sein folgendes:

Hilfsbereitschaft macht uns also auf vielfältigste Weise glücklicher. Untersuchungen an Freiwilligen haben beispielsweise gezeigt, dass ehrenamtliche Arbeit zu einer Verringerung depressiver Symptome und einem Anstieg des Glücksempfindens, des Selbstwertgefühls und des Gefühls der Beherrschung und Selbstbestimmung führt und ein „Helferhoch“ auslöst.

Glück – für dich und mich

Das sind schlechte Aussichten für Egoisten. Und es kommt noch dicker: „Denn Egoismus wird nicht nachhaltig belohnt, wie wir heute wissen. Benötigt für den langfristigen Erfolg (und biologisch gefördert) wird dagegen Teamfähigkeit, gemeinsame Erfahrungen, wozu Menschen wiederum ermutigt, eingeladen und inspiriert werden müssen“, sagt der Mediziner Tobias Esch im Fachbuch Die Neurobiologie des Glücks.

An dieser Stelle die komplexen Vorgänge zu erläutern, welche durch unsere guten Taten in unserem Gehirn ausgelöst und welche Glückshormone dabei alles ausgeschüttet werden, würde meine Fähigkeiten und den Rahmen dieses Artikels sprengen. Die Tatsache, dass durch praktizierte Mitmenschlichkeit Glücksbote (wie Oxytozin) in unserem Gehirn aktiviert werden, ist mir Motivation genug.

Soviel zu den positiven Nebenwirkungen von gelebter Nächstenliebe. Auf was warten wir noch? Legen wir doch einfach los! Es ist im Grunde ganz einfach:

  • Schenken wir jemandem Zeit: Entlasten wir z.B. junge Eltern indem wir ihnen einen freien Tag ermöglichen und zum Nachwuchs schauen.
  • Schenken wir jemandem Aufmerksamkeit: Haben wir ein offenes Ohr für die Nachbarin, die gerade durch eine schwierige Lebensphase geht.
  • Schenken wir jemandem Beachtung: Ein Lächeln kann viel bewirken, hier eine kleine Liebestat, dort eine kleine (oder grosse) Hilfeleistung.

Da haben wir’s: Nächstenliebe als Glücksfaktor. Ob wir dafür ein weniger verstaubtes Wort wählen oder bei der schlichten Begrifflichkeit der Bibel bleiben, spielt ja eigentlich keine Rolle. Hauptsache man tut es!

PS: Zufälligerweise habe ich den Glücksfaktor Nächstenliebe gerade heute selbst erlebt: Eine kleine, spontane Aufmerksamkeit hat ein mir unbekanntes Paar im Auto und mich selbst mit einem Glücksgefühl beschenkt, als ich einen Brief für sie in den gelben Kasten einwarf… So einfach – und so beglückend!

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichGesellschaft“.