Leidenschaft schafft Leiden

Das Leben wäre definitiv einfacher, wenn mensch nicht zu gross träumte – angepasst leben, den Dingen ihren vorgezeigten Lauf lassen, nie gewohnte Bahnen hinterfragen würde.

Privat hiesse das beispielsweise , sich möglichst so zu verhalten, wie es Freunde und Familie erwarten. Immer schön berechenbar bleiben.

In Beruf würde sich diese «Nur-nicht-zu-viel-Aufregung-verursachen»-Mentalität beispielsweise im gern zitierten «Dienst nach Vorschrift» äussern.

Wie ich hier schon im letzten Blogartikel betonte und es immer wieder erkennbar wird, funktioniere ich nicht so. Visionen verfolgen, einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen, Berufung leben, ja, das ist mein Anspruch, das tu ich seit jeher – und bin mir auch nicht zu schade, den nötigen Preis dafür zu bezahlen.

Nicht, dass mir dies immer leichtfällt. Die finanziellen Einbussen, die wir als Family über Jahre hingenommen haben, um den Traum zu leben, ist das eine. Die emotionale Achterbahn von den wunderbaren Highlights zu den Tiefpunkten, wo die Zukunft mal wieder mehr als ungewiss ist, negative Presse oder persönliche Anfeindungen verdaut werden müssen, ist das andere.

Dieses emotionale Ausgeliefertsein wiegt für mich tatsächlich viel schwerer als die in vollem Bewusstsein gewählte materiellen Verzichte.

Wie gut ist da, dass mir schon in meinen jungen Jahren als «Kirchenpionier» ein Wegbegleiter sagte «Leidenschaft schafft Leiden» und «Wer sich einsetzt, setzt sich aus».

Die Wortspielereien mit Kalenderspruch-Potenzial mögen simpel sein, trotzdem bin ich froh, dass sie mich über all die Jahre, in denen ich mich leidenschaftlich für meine Träume einsetze, begleitet haben.

Gott sei Dank!

Hier den Bogen zu Karfreitag zu machen, birgt ein Risiko in sich: «Ist er jetzt definitiv grössenwahnsinnig und vergleicht sich mit Jesus?» Nein, sicher nicht!

Natürlich ist meine emotionale Achterbahn nicht zu vergleichen mit dem, was der Gottessohn durchmachte: Himmelhochjauchzender-Hosianna-Empfang an Palmsonntag, Ans-Kreuz-mit-ihm-Bashing wenige Tage später.

Verrat, Verleumdung, Verurteilung, Folter, Höllenqualen.

Tod. Kreuzestod.

Nein, dagegen wirken meine «Leiden der Leidenschaft» wie ein Spaziergang. Na gut, vielleicht wie eine Bergwanderung.

Und trotzdem bin ich meinem Gott von Herzen dankbar, dass er mir in Jesus, meinem Erlöser und Freund, dieses Vorbild gegeben hat: Auch wenn «Leidenschaft Leiden schafft» und sich einsetzen auch sich aussetzen heisst, Träume sind es wert, nicht vorzeitig aufgegeben zu werden.

Ja, wir geben am Karfreitag dem Leiden Raum.  
Die Hoffnung muss sich noch gedulden.
Gottes Leidenschaft erliegt dem Leiden.
Gottes Traum fordert den ganzen Einsatz.

Das Leid aushalten, ohne vorschnell in Auferstehungsjubel auszubrechen – nicht einfach.

Und trotzdem so wichtig! Weil auch das eine göttliche Lektion für uns ist: Geh nicht zu schnell weiter, lass Trauer zu, gibt dem Leiden seinen Raum, setz dich dem Schmerz aus.

Wenn sie dann kommen, die Auferstehung, die Hoffnung, der Ostermorgen, dann wird etwas spürbar von dieser göttlichen Anderswelt. Eine neue Welt, eine andere Welt ist möglich, weil nicht Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Tod das letzte Wort haben werden, sondern die göttliche Liebe.

Ich bin Gott dankbar, dass er seinen Traum, seine Leidenschaft der neuen Welt nicht aufgegeben und sich den Menschen ausgesetzt hat.

Glücksaufgabe

Was heisst es für dich, an Karfreitag innezuhalten und das Leiden auszuhalten?

Und welche Träume willst du weiterverfolgen, selbst wenn sie Leiden mit sich bringen?  

Glück im Job?

«Ich träume von einer Welt, in der Träume wahr werden – vielleicht bewerbe ich mich in der Filmindustrie», mit diesen Worten hab ich kürzlich versucht meine Gefühlslage zu beschreiben.

Es ist die Schattenseite des Lebens und Arbeitens als Visionär: Ich stelle mir vor, wie die Dinge in Zukunft sein könnten. Doch die Lücke zur Realität in der Gegenwart bringt den Glauben an die Träume manchmal arg ins Schleudern.

«Träume sind wie Schäume», sagen die einen. Und ich erwidere im Blick auf mein Leben: «Meine Träume haben viel bewegt, durften – wenn auch nicht in ‘voller Grösse’ – an manchen Stellen wahr werden und waren die Gefühlsachterbahn auf dem Weg dahin wert.»

Wären wir alle Visionär:innen, würden wir eine grössere Traumwelt fabrizieren als die Traumfabrik in Hollywood.

Gut, dass es nicht so ist. Doch eines geht uns alle an: Welche Erwartungen haben wir an unseren Job? Ist unser Beruf, vielleicht gar unsere Berufung, da, um uns glücklich zu machen? Oder jobben wir bloss, um unser Leben(sglück) zu finanzieren?

Für mich kann ich mir ein Job ohne Erfüllung, ohne Sinnstiftung schlicht nicht vorstellen. Und so ist auch klar, dass ich mich mit der sogenannten resignativen Arbeitsplatzzufriedenheit sehr schwertue. Aber muss es für alle so sein? Ist es nicht auch ein unheimlicher Druck, wenn Beruf immer auch gleich Berufung sein muss? Was ist mit all den Jobs, die einfach von irgendjemandem erledigt werden müssen?

«Wir glauben, dass unsere Arbeit uns immer erfüllen muss.»

Dieses Zitat vom Psychotherapeuten Claas Lahmann stand neulich in grossen Lettern im «NZZ am Sonntag Magazin» und weckte sofort mein Interesse.

Und tatsächlich brachte das Interview mit dem Experten zu Arbeitsgesundheit einige sehr interessante Erkenntnisse zutage:

Laut Lahmann muss uns unsere Arbeit nicht immer glücklich machen, aber es gibt einige Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit unser Job ein gesundes Arbeiten ermöglicht.

Als erstes wird der eigene Gestaltungsspielraum (Anforderung und Autonomie) genannt: Was kann ich hier bewegen, selbst gestalten?

Ein zweites Prinzip ist ein gutes Verhältnis von Geben und Nehmen: Was bekomme ich hier alles? Und was investiere ich?

Da wir äusserst empfindlich auf Ungerechtigkeit reagieren, ist ein weiteres wichtiges Prinzip die Gerechtigkeit: Werden hier alle Leute fair behandelt?

«Aber das kraftvollste der vier Prinzipien», sagt Claas Lahmann im Magazin-Interview, «ist das der psychologischen Sicherheit.»

Fühle ich mich gesehen, wertgeschätzt und aufgehoben? So dass ich mich traue Fragen, Ideen und auch mal Kritik einzubringen? Beste Ideen gehen verloren, weil sie nicht geäussert werden (dürfen). Ganze Unternehmen geraten arg in Schieflage, weil keine:r da ist, etwas in Frage zu stellen.

Mir gefallen diese Ansätze sehr gut, weil sie einerseits zu dem passen, was ich schon vor 25 Jahren auf Leadership-Konferenzen bei Willow Creek hörte, und anderseits ist es genau das, was wir als gms seeland versuchen: Begegnungsorte zu schaffen, die für unterschiedlichste Menschen zu «Safe Places» werden. Orte, wo sie sich gesehen, wertgeschätzt, angenommen und geliebt fühlen.

Doch wie schaffen wir das? Am Arbeitsplatz? In der Kirche?

Sind da immer nur die Führungskräfte, Chefs und Pfarrers dafür zuständig. Natürlich haben die eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, die Kultur zu prägen.

Doch auch wenn sie dieser Aufgabe nicht gerecht werden, gibt es laut Lahmann noch Hoffnung: «Veränderung beginnt immer bei dem ersten Menschen, der etwas verändert.» Wenn es mir wichtig ist, dass sich das Klima (am Arbeitsplatz, in meiner Gruppe, in der Kirche …) verändert, kann ich in kleinen Schritten in meinem nächsten Umfeld die Veränderung sein.

Eine Anekdote aus dem gestrigen Talk mit Florian Wüthrich bei «Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott» beweist, dass dies tatsächlich möglich ist: Er erzählte, wie eine Mitarbeiterin im Lokalradio ab dem ersten Tag die Stimmung im Team veränderte.

Eine Person kann den Unterschied machen – und so vielleicht den entscheidenden Beitrag leisten, damit Träume wahr werden.

Bist du diese Person?

Glücksaufgabe

Auf dem Buchdeckel meines aktuellen Tagebuchs steht «If you can dream it, you can do it.» (Wenn du es träumen kannst, kannst du es tun.)

Ich weiss selbst, dass dieses Zitat aus dem Hause Walt Disney in die Kategorie «schöne Kalendersprüche» gehört und nicht immer hilfreich ist.

Und trotzdem: Wo kann ich dazu beitragen, dass Träume wahr werden?

100fach dankbar

Gestern durften wir im preisgekrönten Format Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott den 100. Talk-Gast in Studen begrüssen. Das sind 100 spannende Lebensgeschichten, 100 individuelle Lebensentwürfe, 100 Gründe für Dankbarkeit.

Bis auf zwei Talks (einmal war ich krank und einmal waren Brigä & ich selbst die Talk-Gäste und wurden von Ladina Spiess ausgefragt) durfte ich all diese spannenden Gespräche moderieren.

Zeit also, zu fragen, was von all diesen Talks bleibt.

Für mich persönlich ganz einfach die schöne Erfahrung von dem, was ich Flow nenne oder wie ich es gerade diese Woche bei Marcus Buckingham in einem Podcast hörte: Erfolgreiche Menschen tun das, was sie lieben.

Dabei war meine Aufgabe nicht immer einfach: Die «härteste Nuss» war (mit Abstand) der pensionierte und wortkarge Notar. Auf die Frage nach schönen Kindheitserinnerungen meinte er, da gäbe es eigentlich nichts. Selbst der professionelle Moderator im Publikum sagte nach dem Abend, er hätte nicht mit mir tauschen wollen. (Fun Fact am Rande: Aus diesem harzigen Start entwickelte sich eine schöne Bekanntschaft mit besagtem Notar.)

Herausfordernd erlebte ich auch die Talks mit Menschen, die (noch) keine grösseren Brüche in ihrem Leben hatten. Da waren beispielsweise die die junge, immer fröhliche Radiomoderatorin oder auch Stefan Zürcher, Bischof in der Methodistenkirche (EMK), der natürlich grosse Herausforderungen kennt, aber auch sagen konnte, dass er keine grossen Brüche in seinem Leben erfahren hatte.

In eine andere Richtung gefragt, war ich als Moderator dann, wenn mein Talk-Gast emotional wurde und sich gar Tränen ihren Weg bahnten. Das sind immer wieder sehr intime und intensive Momente, die es gilt, nicht zu zerreden, sondern einfach zuzulassen, was ist. Oft sind es gerade solche Gesprächsmomente, welche die Besucher:innen besonders berühren. Zum Beispiel als Christine & Gody Grogg erstmals öffentlich von ihrer Ehekrise berichteten.

Für mich als Talkmaster sind besonders schöne Momente, wenn ich meine Talk-Gäste dazu bringe, dass sie gerade selbst etwas entdecken («Das habe ich mir noch gar nie überlegt.») oder Promis sagen, dass wären sie noch nie gefragt geworden.

Während Corona stellten wir für einige Zeit auf ein online «Mini-Chäs»-Format um. Und in besonders schöner Erinnerung bleibt, als wir im zweiten Corona-Sommer drei Openair-Ausgaben durchführten. Unter anderem mit dem Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg, welcher uns direkt Auskunft zur Pandemie und vor allem zu seinen Herausforderungen damit geben konnte.

Ein weiterer Promi war der NHL-Eishockeyprofi JJ Moser – der Talk mit Janis gehört nach wie vor zu den meistgehörten in unserem Podcast. Weitere mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Sport und Wirtschaft erzählten im «Chäs» offen aus ihrem Leben.

Doch die Idee des Konzepts ist eben gerade, dass jede Lebensgeschichte es wert ist, erzählt und gehört zu werden – Promi hin oder her. Jede Geschichte ist spannend, oft auch überraschend. Darum holen wir auch immer wieder gerne Menschen aus unseren Dörfern auf die Bühne wie Margrit, Theres, Rémy, Monique oder Karin.

Bei der Auswahl der Gäste muss ich etwas aufpassen, nicht zuviele Pfarrkolleg:innen und Theolog:innen einzuladen. Doch gerade auch die Talks mit Christine Schliesser, Martin Benz, Sabine Herold und natürlich unvergessen Torsten Hebel (der mit Abstand meistgehörte Talk im Podcast) haben viele Menschen sehr inspirieret.

Und von wegen Folgenrangliste: Der Februar-Talk von diesem Jahr folgt bereits jetzt auf dem zweiten Platz nach Torsten Hebel. Die (Liebes)Geschichte von Eva Kaderli & Sara Folloni berührte live viele Menschen und berührt nun online weiter.

«Wer soll der 100. Talk-Gast sein?» haben wir uns lange gefragt. Die Wahl ist auf Zsolt Balkanyi, Rektor Jüdische Schule Zürich und mein «jüdischer Freund» aus der Armeeseelsorge, gefallen. Erstmals wurde eine Lebensgeschichte nicht aus christlicher Perspektive erzählt – eine Horizonterweiterung für die Besucher:innen war garantiert.

Zsolt sagte: «Es gibt eine dramatische und eine hoffnungsvolle Perspektive meiner (Lebens)Geschichte.» Damit deute er an, dass es darauf ankommt, wie wir das, was uns widerfährt, deuten.

Und was habe ich persönlich aus all diesen Geschichten gelernt?

Vor allem, dass mensch mit Dankbarkeit, Gelassenheit, Freude und Liebe – gerade auch trotz krassen Schicksalsschlägen wie zB die Geschichte von John Decker – besser durchs Leben kommt, als mit Kontrolle, Dramatisierung oder fixen Vorstellungen.

Anfangs hat mich überrascht, dass das Leben meiner Talk-Gäste viel weniger einem Masterplan folgte, als es vielleicht gerade bei erfolgreichen CEOs wie Markus oder Werksleitern wie René zu erwarten wäre. Oft taten die Menschen einfach das, was ihnen «vor die Füsse» geworfen wurde und so entwickelte sich eine spannende Lebensgeschichte.

Glücksaufgabe

Falls du dich auch gerne von Lebensgeschichten inspirieren lässt: Höre gerne in unseren Podcast rein oder besuche das Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott live in Studen.

Und was lernst du aus deiner und anderen Lebensgeschichten?

Übrigens: Ein Glücksmoment für mich war natürlich, als das Format mit dem Verkündigungspreis ausgezeichnet wurde. Wie schön, wenn das, was mensch liebt und mit Leidenschaft tut, noch solche Anerkennung erhält.

Äs guets Nöis!?

Vielfach wird es dieser Tage wieder gewünscht: «Äs guets Nöis!» Oft, wie gestern auch beim ersten gms Event des Jahres, verknüpft mit der Frage, ob mensch gut ins neue Jahr gestartet sei.

Was heisst denn eigentlich ein gutes Jahr? Was macht ein Jahr zu einem guten? Und was, wenn sich der Start ins Jahr gerade sehr holprig anfühlt?

Rezepte werden ja viele angeboten: Wenn du’s so machst, wird dieses Jahr das beste deines Lebens. Aber wehe, du schaffst es nicht …

Der Klassiker schlechthin ist die Idee der Jahresvorsätze. Und da wird dann zwischen guten und schlechten Vorsätzen unterschieden. Tatsächlich haben gute Vorsätze und Ziele eine grosse Wirkung. Wenn wir wissen, was wir wollen, steigt die Motivation und eine ganze Menge Energie wird freigesetzt.

Dann beobachte ich immer wieder die fromme Variante des Positiven Denkens: Mit der richtigen Einstellung, den richtigen Gebeten (und wohl auch noch den richtig grossen Spenden in deine Kirche) wird Gott in diesem Jahr Durchbrüche und Wunder für dich bereit halten.

Versteh mich nicht falsch, ich traue Gott schon Grosses zu. Aber warum sollte er ausgerechnet mir Wunder und Durchbrüche schenken und anderswo auf der Welt haben Menschen unter narzisstischen Regierungen zu leiden? Oder verhungern. Oder werden vergewaltigt. Oder, oder, oder …

Und ja, ich hab selbst schon mit detaillierten Jahresvorsätzen, gar mit einem PEP – persönlicher Entwicklungsplan – meinem Leben versucht eine gute Richtung zu geben, hab sogar als Coach andere darin angeleitet. Dankbar stelle ich fest, dass daraus tatsächlich viel Gutes entstanden ist.

Jetzt erwartest du das grosse Aber, gell? Und hier kommt es auch: Aber ich misstraue je länger je mehr allem, was so rezepthaft rüberkommt. Fürs Kochen mag das hilfreich sein (obwohl ich auch da lieber freestyle unterwegs bin), doch fürs Leben taugen Rezepte nicht!

Das Leben ist komplexer als eine Mahlzeit.
Der Glaube auch.
Beziehungen sowieso.

Da gehören Spannungsfelder dazu. Und wenn wir diese zu einfach, rezeptartig auflösen, werden wir ihnen nicht gerecht, unterdrücken sie und gehen vermutlich mehr getrieben als versöhnt durch unser Leben.

Und wie bringe ich jetzt eine positive Wendung in diesen Text ohne in die Rezeptfalle zu tappen? Ich versuche es mit einem Zitat:

Jedes neue Jahr sollte nicht mit guten Vorsätzen,
sondern mit einem Traum beginnen.
Roland Voss

Pläne sind gut und wichtig. Doch am Ende sind es nicht die Pläne, die unserem Leben Richtung geben, sondern unsere Träume.

Und wie entsteht ein Traum, für den es sich lohnt zu leben? Es ist die Sehnsucht, die uns lockt, die in uns Träume weckt, uns in Bewegung bringt, Neues entstehen lässt.

Ist Sehnsucht nicht einfach eine weitere Sucht auf dem grossen Markt der Möglichkeiten?

Ich glaube nein. Sehnsucht ist der Ursprung des Lebens. Sehnsucht ist das Verlangen nach Vollkommenheit. Unser Fragen nach dem Ewigen. Letztlich unsere Ahnung vom Himmel.

Und diese Sehnsucht lässt uns spüren: Da ist mehr, da ist etwas Grösseres, etwas, das über dieses Jahr und über dieses Leben hinausgeht.

So hat Sehnsucht wohl doch auch etwas mit Sucht zu tun. Ich vermute, dass die Sehnsucht nicht nur Ursprung des Lebens, sondern auch Ursprung aller Süchte ist. Weil die Sehnsucht nach dem Vollkommenen in einer unvollkommenen Welt nicht gestillt werden kann, driften wir ab in Ersatzhandlungen (Konsum, Genuss, exzessives Arbeiten …), die alle ein Suchtpotenzial in sich bergen.

Über die Sehnsucht schreibt Lorenz Marti in seinem fantastischen Buch Türen auf! gleich zu Beginn diese bedenkenswerten Zeilen:

Die Sehnsucht will mehr als alles,
was sich innerhalb eines Lebens realisieren liesse.
Wir können dieses Mehr nie erreichen –
aber es gibt Momente, wo es uns erreicht:
in einem Windhauch, der viel verspricht, der alles verspricht.

Lorenz Martis Gedanken faszinieren mich – und machen mich gleichzeitig traurig: Ich wünsche mir mehr als ein kurzer Windhauch. Doch genau darin liegt wohl die Sehnsucht nach der Vollkommenheit.

Glücksaufgabe

Nein, das einfache Rezept für ein glückliches Leben gibt es nicht. Und doch können wir unser Glück gestalten. Zum Beispiel indem wir der Sehnsucht nachspüren und die Ahnung des Ewigen nicht unterdrücken sondern in unserem Alltag integrieren.

Welcher Sehnsucht, welchem Traum willst du im neuen Jahr nachspüren?

Meine Geschichte

Zu dieser Zeit war ich vor 25 Jahren bereits supernervös und angespannt: Am 31. Oktober 1999 sollte mein Traum wahr werden. Wir hatten seit Wochen alles geplant, mit freiwilligen Mitarbeitenden überlegt, wie dieser spezielle Brunch-Gottesdienst in der örtlichen Mehrzweckhalle gestaltet werden sollte, damit er möglichst viele Familien aus Studen und Umgebung anspricht.

Dass es überhaupt zu diesem Anlass kam, war einerseits in meinem Pioniergeist angelegt, anderseits doch ein Wunder für sich.

Während meiner Schulzeit war ich nämlich in Mathe immer vorne dabei, doch wenn’s um Sprache ging, gehörte ich eher zu den Sammlern von peinlichen Situationen. Was in der Primarschule unvorstellbar war, geschah dann am Reformationssonntag 1999 tatsächlich: Ich stand, notabene in der Schulanlage meiner Schullaufbahn, auf der grossen MZH-Bühne und hielt unter dem Motto «Ein Traum wird wahr!» eine Kurzpredigt vor grossem Publikum.

Doch noch aus einem anderen Grund war es eine wundersame Fügung, dass ich als 23jähriger Student das gms gründete. Den Pioniergeist fühlte ich zwar in mir und konnte diesen schon als Teenager mit Grümpelturnier-Projekten und später mit der Jungschar-Gründung ausleben. Jedoch fühlte ich mich hin und wieder als Exot und fragte mich, ob meine Träume und Ideen in der Kirchenlandschaft wirklich Platz haben.

Es brauchte einen Heinz Strupler als Motivator und eine praxisorientierte Ausbildung wie ich sie am IGW genoss, damit ich mich mit meinen Visionen nicht als Spinner abstempeln liess und in meinem letzten Studienjahr tatsächlich innerhalb eines eher traditionellen Gemeindeverbandes eine Gemeindegründung wagte.

Und wir hatten gross angerichtet: Schöne Flyer gedruckt, eingeladen, geplant, gebetet, eingeladen, Band zusammengestellt, gezittert, gebetet, eingeladen, eingeladen, eingeladen, kreative Elemente ausgedacht, Zöpfe gebacken und vieles mehr.

Dann war der Tag da, die Tische gedeckt. Viele Tische. Zu viele? Mein Chef verriet mir hinterher, er hätte gedacht: «Oh nein, wenn sich Stef und sein Team nur nicht verschätzen mit ihren grossen Erwartungen.» Doch die Halle füllte sich und es war ein wunderbarer Start in ein Abenteuer, das nun schon mehr als die Hälfte meines Lebens prägt.

Veränderungen gehören zum Leben

Vieles ist seither geworden – anders geworden, gut geworden, hoffnungsvoll geworden. In besagtem Gemeindeverband ging es für uns nicht mehr weiter, nach 10 Jahren ohne Dach fanden wir in der EMK Schweiz eine neue Heimat.

Wichtiger als Strukturen sind uns die Menschen. Unzählige Geschichten beweisen, dass der Traum von damals lebt: Im gms fühlen sich kleine und grosse Menschen wohl und angenommen und werden für ihr Leben und Glauben inspiriert.

Doch nicht nur das gms hat sich in den letzten 25 Jahren entwickelt. Auch ich habe mich in dieser Zeit gewandelt: Der Pioniergeist und die Liebe Gottes als Triebkraft sind geblieben, doch meine Überzeugungen haben sich an manchen Stellen verändert und entwickelt. Meine Theologie wurde weiter, Zweifel sind keine Bedrohung mehr, sondern Zwilling des Glaubens.

Ein bitter-süsses, weil wunderschönes und gleichzeitig enorm trauriges Zeugnis meiner Entwicklung ist die aktuelle Episode im Zweifelclub-Podcast: Mein «kleiner Bruder» und ich durften dort über unsere Geschichte, die auch eng mit der gms-Geschichte verwoben ist, erzählen. Wie erste Reaktionen zeigen, ist ein sehr berührendes Gespräch entstanden:

25 Jahre gms – das ist nicht nur der grösste Teil meiner Berufslaufbahn, sondern ebenso ein sehr prägender Teil meiner Lebensgeschichte.

Ich bin Gott und den Menschen um mich herum sehr dankbar, dass sie dieses Abenteuer mit mir eingegangen sind!

Glücksaufgabe

Ich lass mich gerne durch Biographien inspirieren. Vielleicht geht es dir ähnlich. Dann empfehle ich dir die Podcast-Folge vom Zweifelclub mit Mäth und mir.

Dann freu ich mich riesig auf die Jubiläums-Events zu 25 Jahre gms. Dass viele Menschen mit uns feiern, bedeutet mir sehr viel:

JUBILÄUMS BENEFIZ GALA DINNER mit Singer/Songwriterin Jaël und Nationalratspräsident Eric Nussbaumer u.a. => 31. Oktober in Brügg

JUBILÄUMS-GOTTESDIENST mit Klaus-André Eickhoff => 3. November in Brügg

Tageskonferenz BUNT GLAUBEN mit Christina Brudereck u.v.a. => 18. Januar in der MZH Studen

Infos & Anmeldung zu den Events

Was willst du bewegen?

Aktuell dreht sich in meinem Leben viel um Wirkung: Einerseits durfte ich Teil der Werkstatt Wirkung (Workshop von Con·Sense Philanthropy Consulting) sein, anderseits haben wir im gms gerade mit der Serie «Spuren hinterlassen – leave a legacy» gestartet. Zudem spüre ich auch ganz persönlich, wie ich mit meinem Sein und Wirken bei anderen Menschen etwas auslöse.

Meine erste Lektion in all dem Nachdenken über Wirkung: Abgeleitet vom bekannten Bonmot von Paul Watzlawick «Man kann nicht nicht kommunizieren» wurde mir im Workshop sofort klar: Man kann nicht nicht Wirkung haben.

Dabei gibt es unterschiedliche Arten von Wirkung. Wir beschäftigten uns den ganzen Tag mit den gewünschten Wirkungen. Ausgehend vom «Problembaum» fragten wir uns bei einer konkreten Problemstellung aus unserer Praxis, was die Ursachen und was die Folgen des Problems sind.

Mit dem Problem vor Augen lernten wir anhand des Lösungsbaums, wie wir durch gezielte Interventionen Teil der Lösung werden und schliesslich Verbesserungen bewirken können.

Klingt technisch und theoretisch? Ist es auch. Und wir haben noch mehr Tools durchgespielt, wie das Modell I-O-O-I (Input – Output – Outcome – Impact) und uns so der Wirkungstreppe angenähert.

Kurz: Bis sich durch Interventionen einer Organisation nachhaltig Wirkung ereignet, kann es ein langer Weg sein. Beispielsweise spricht man bei durchgeführten Aktivitäten, selbst wenn sie ausserordentlich gut besucht werden, noch nicht von Wirkung. Die stellt sich erst ein, wenn bei den Menschen Veränderung (im Denken und Handeln) geschieht.

Manchmal gibt es aber auch ungeplante, positive Wirkungen: Durch unser Engagement werden andere möglicherweise dazu inspiriert, ein eigenes Teilprojekt zu realisieren, das wir so gar nicht auf dem Radar hatten.

Unangenehm sind die ungeplanten, negativen Wirkungen: Wenn unser Handeln dazu führt, dass Menschen resigniert, frustriert und vielleicht gar verletzt das Weite suchen und sich aus unserer Organisation verabschieden.

Bilder sprechen für sich

Tatsächlich hab ich in besagtem Workshop eine aktuelle Herausforderung aus meinem Berufsalltag bearbeitet: «Viele Menschen im mittleren Alter fühlen sich mit der/ihrer Kirche nicht mehr verbunden.» Das hat viele Ursachen und Auswirkungen, gleichzeitig sehe ich auch viele spannende Ansätze, wie dem entgegengewirkt werden kann. Einiges davon hab ich schon ausprobiert, anderes steht jetzt in meinem Modell der Wirkungstreppe.

Die Theorie soll der Praxis dienen – und nicht umgekehrt.

Darum freu ich mich darüber, dass ich intuitiv oft schon in die richtige Richtung «gewirkt» habe und erleben darf, wie sich eine neue Aufbruchstimmung breitmacht.

Und wie misst man Wirkung? Das wäre nochmals ein ganz anders Thema.

Doch in meinem Herzen bewahre ich, wie zuletzt beim fantastischen Sommerfest überall Menschen ihre Handy zückten und filmten – und bei einem neuen Gottesdienst-Format gleich nochmals viele Besucher:innen Momente und Impulse festhalten wollten. Für mich ein Bild für eine neue Freude und wachsende Verbundenheit.

Diesen Weg will ich weitergehen und hoffe, nachhaltig positive Spuren hinterlassen zu können.

Glücksaufgabe

Du willst dich auf einer persönlicheren Ebene mit deiner Wirkung beschäftigen? Dann empfehle ich dir die aktuelle Serie «Spuren hinterlassen – leave a legacy» in Studen, Lyss oder online.

Und als 1-Minuten-Reflexion gebe ich dir folgende Frage mit: Für welche Spuren in deinem Leben bist du dankbar?

«No Limits» war gestern

Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher in einem Winterlager der JG (Jugendgruppe) zusammen mit einem Team Inputs zum Thema «No Limits» gab.

Einige Jahrzehnte später habe ich letzten Sonntag auch wieder über Grenzen gesprochen. Diesmal mit einem ganz anderen Motto: «Grenzen – ein göttliches Geschenk?». 

Was jetzt? Grenzenlos unterwegs oder Grenzen freudig umarmen? 

Dem jugendlichen Enthusiasmus sind Grenzen naturgemäss zuwider. Man will ausbrechen, die Welt erobern und sich nicht limitieren lassen.

Zugegeben: Ich liebe Begrenzungen immer noch nicht. Doch ich sehe mit einer gewissen Lebenserfahrung, dass Grenzen nicht bloss da sind, um mich zu limitieren. Tatsächlich schützen sie mich auch.

Während der aktuellen Matinée-Serie sind wir mit dem Buch Emotional gesunde Nachfolge von Pete Scazzero unterwegs. Bezüglich Grenzen hat mich ein Zitat von Pete ganz besonders angesprochen:

«Eines der Anzeichen für wachsende geistliche Reife ist es, ein ganzes Ja zu unseren gottgegebenen Grenzen zu finden. Leider lehnen sich die meisten von uns gegen Grenzen auf – gegen ihre eigenen und die anderer Menschen.
Wir erwarten viel zu viel von uns und sind deshalb häufig resigniert, enttäuscht oder wütend. Eine der Hauptursachen für Burn-out liegt darin, dass wir geben, was wir nicht besitzen.»

Das find ich unheimlich stark.

Zerbrochen an den Erwartungen

Wie viele Menschen erleben genau das, was hier beschrieben ist: Wir sind immer wieder enttäuscht, müde, resigniert – und vielleicht sogar verärgert und wütend.

Warum? Wenn die These von Pete Scazzero stimmt, gibt es da einen Zusammenhang mit unseren Erwartungen. Unseren Erwartungen an uns selbst. Und unsere Erwartungen an andere.

Und was tun wir jetzt damit? Uns einfach noch ein bisschen mehr anstrengen? Noch länger arbeiten, noch mehr Aufträge annehmen, noch mehr «Jöblis» sammeln, uns noch mehr um die Kinder, Eltern, Nachbarn … kümmern? Noch luxuriösere Ferien, noch mehr Hobbys, mehr Freunde …?

Noch mehr von allem – in der Hoffnung, dass wir so unsere Erwartungen an uns selbst endlich befriedigen können?

Das klingt für mich nach einem Weg direkt in die Sackgasse.

Besser scheint mir, das Lebensmotto «no limits» auszutauschen. Zum Beispiel mit «weniger ist mehr». Und dabei entdecken: Grenzen und Begrenzungen sind nicht gegen mich, sondern für mich.

Einfach mal ohne schlechtes Gewissen weniger von sich und von anderen erwarten. Ich weiss noch nicht, ob mir das gelingt. Aber ich will das Experiment wagen und vermute, dass sich hier ein weiterer Weg ins Glück auftun könnte.

Glücksaufgabe

Hast du auch schon erlebt, dass du gegeben hast, was du nicht besessen hast? Hast du vielleicht sogar Burn-out Erfahrungen hinter dir?

Wie könntest du einen gesunden Umgang mit deinen Grenzen einüben? Wo gilt es, dir und anderen Grenzen zu setzen?

Wenn du dich vertieft mit dem Thema auseinandersetzen willst, kannst du hier gerne meine Predigt «Grenzen – ein göttliches Geschenk?» nachhören?

Bilder im Kopf

Es gab Jahre, da hab ich mir ganz konkrete Neujahrsvorsätze gefasst und sogar andere angeleitet, wie man mit einem PEP (Persönlicher Entwicklungsplan) erfolgreich ins neue Jahr starten kann.

Auf die lange Sicht darf ich auch feststellen, dass mich mein zielorientiertes Vorgehen, sprich die Klarheit über meinen Fokus, «weit» gebracht hat.

Ja, gerade gestern Abend hörte ich mich beim Neujahrs-Gönner-Apéro von gms/Happy Kids diesen Satz sagen: «Dieses Jahr wird das gms 25jährig – und ich liebe diese Arbeit mehr denn je!». Und das hat damit zu tun, dass wir seit 25 Jahren fokussiert, gar hartnäckig, den einen Traum verfolgen – Safe Places, Begegnungsräume, zu schaffen, wo sich unterschiedlichste Menschen wohl und angenommen fühlen und für ihr Leben und Glauben inspiriert werden.

Weil wir unterwegs nicht aufgegeben haben und unsere Vision nicht nach den ersten Schwierigkeiten austauschten, dürfen wir heute hier und da Früchte unserer Investitionen ernten.

Darum: Fokus ist gut und wichtig! Und Neujahrsvorsätze, wenn sie mehr als eine halbherzige Wunschvorstellung sind, können zu wertvollen Meilensteinen auf dem Weg werden.

Meine Top Ten

Trotzdem habe ich mich dieses Jahr mehr mit dem Rück- als mit dem Ausblick beschäftigt: Zum Jahreswechsel habe ich während 10 Tagen je ein Bild aus meinen TOP TEN 2023 auf Facebook und WhatsApp geteilt.

Was für besondere, schöne Momente aus dem vergangenen Jahr bleiben hängen, hab ich mich gefragt und dabei als Gedankenstütze meine Fotos auf dem iPhone «durchgeswipet»: Als absoluter Höhepunkt bleibt der Vater-Sohn-Urlaub in Arizona hängen, dann gab es viele schöne Begegnungen mit alten und neuen Freunden, Erfolgserlebnisse bei der Arbeit, fröhliche (und schwere) Familienmomente …

Ich liebe es, meine Gedanken zu verschriftlichen und so habe ich natürlich schon oft meine Ziele in Worten festgehalten. Beim Anblick der Top Ten 2023 merkte ich: Da braucht es gar keine Worte mehr. Ich will, dass diese Bilder in mir haften bleiben.

Und diese Bilder im Kopf – und vor allem im Herzen – wecken in mir die Sehnsucht nach mehr davon.

So werden die Bilder aus dem Jahresrückblick zu meinem Neujahrsvorsatz: Ich will Raum schaffen, dass auch 2024 solche Erlebnisse Platz haben. Ich will Beziehungen gestalten, den Moment geniessen, Neues erleben.

Ob die Neuropsychologin oder der (Mental)Trainer: Immer mehr Fachleute, so kommt es mir mindestens vor, weisen darauf hin, welch starken Einfluss unsere inneren Bilder auf uns haben.

Gerade diese Woche habe ich in einem Podcast von der Taktik gehört, einen Trigger dadurch zu stoppen, dass man ihm ein anderes, im besten Fall humorvolles Bild, entgegenhält. Statt mich von einem Trigger runterdrücken zu lassen und vielleicht in Panik zu landen, ist es möglich, innerhalb einer Millisekunde Gegensteuer zu geben – und durch das lustige Bild kommen wir ins Lachen: Humor vertreibt somit die Angst.

Der schlechteste Neujahrsvorsatz war schon immer «Ich muss joggen gehen und abnehmen!». Bringt nichts!

Aber positive Bilder im Kopf – das bewegt was.
Probiers aus!

Glücksaufgabe

Welche schönen Momente, Bilder!, willst du mit ins neue Jahr nehmen? Und was für Bilder sollen dein 2024 prägen?

Weggetragen

«Du hangisch wieder», wurde mir Ende September mehrmals gesagt. Gemeint war, dass auch mein Kopf im Plakat-Wald des Wahlherbstes zu finden war.

Auch wenn ich mich nach mehreren Wahlkämpfen (mit mehr oder weniger Ambitionen) daran gewöhnt habe, wochenlang an einem Plakat von mir selbst vorbeizufahren – es bleibt etwas Spezielles und irgendwie auch Unangenehmes.

Schön war dieses Jahr, dass mir Kids auf dem Schulhausplatz «Sälü Herr Gerber» nachgerufen haben. Erschreckend fand ich, wie viele Menschen unser, zugegebenermassen kompliziertes und für Kleinparteien auch unfaires, Wahlsystem nicht begreifen: «Wenn sein Plakat im Dorf hängt, dann will er auch unbedingt in den Nationalrat». Nein, das war nicht so, ich wollte nur meiner Partei (EVP) helfen und unserem Nationalrat (Marc Jost) zur Wiederwahl verhelfen.

Soweit so gut, um Politik soll es hier nicht gehen.

Eine Szene nach den Wahlen war so skurril, dass ich sie hier mit euch teilen will: Als wir durch ein Nachbardorf fuhren, sahen meine Frau und ich, wie ein Werkhof Mitarbeiter gerade den Plakatständer mit meinem Kopf darauf wegtrug.

Das ist eingefahren: Ich werde einfach weggetragen. Ein starker Mann nimmt mich einfach so unter seinen Arm – und weg bin ich.

Wir schauten der Szenerie etwas perplex zu und verpassten es so leider, ein Foto davon zu schiessen. Ein solches Bild hätte meine Gedanken hier eindrücklich untermalen können. Nun setz ich einfach auf deine Vorstellungskraft!

Endlichkeit vor Augen

Dieses Bild, wie ich weggetragen werde, brannte sich sofort in mein Herz. Deutlicher kann man nicht mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert werden. Meine Zeit, mein Sein und Tun, all die schönen Beziehungen und all mein freudiges Wirken, aber auch sämtlicher Schmerz des Alltags – all das hat ein Verfallsdatum.

Irgendwann werde ich nicht mehr sein!

Und bei dir ist es genauso!

Ich finde diesen Gedanken nicht bedrohlich – auch wenn ich hoffe, dass mein Verfallsdatum noch einige Jahre auf sich warten lässt.

Doch die Endlichkeit vor Augen ist für mich eine Einladung, mein Leben bewusst zu gestalten. Mich regelmässig, ganz besonders um meinen Geburtstag herum (war gestern), zu fragen, was ich durch mein Sein und Tun bewegen will und was ich eines Tages hinterlassen will.

Die Amis sprechen da schön von «Leave a legacy», die deutsche Übersetzung kommt nicht an diesen schönen Satz heran: Ein Vermächtnis hinterlassen.

Aber bleiben wir dabei: Welches Vermächtnis wollen wir zurücklassen? Das entscheidet sich heute – und nicht auf dem Sterbebett!

Die kleinen Entscheidungen des Alltags bestimmen, welche «Legacy» wir einmal zurücklassen werden.

Das Bild meines Wegtragens ist kaum an Dramatik zu überbieten, wenn ich dir jetzt noch etwas ganz Persönliches anvertraue: Genau in diesen Tagen, als sich die Szenerie abspielte, erfuhren wir, dass die Chemotherapie bei meinem Vater sein Ziel verfehlt und er besser seiner baldigen Endlichkeit ins Auge schaut.

Lass uns im Bewusstsein leben, dass wir möglicherweise schon morgen weggetragen werden.

Glücksaufgabe

Meine Hoffnung, dass es auch nach dem endgültigen Wegtragen meiner Selbst nicht zu Ende ist, nährt sich aus meinem Vertrauen in die christliche Verheissung: Nach dem unvollkommenen Leben im Hier und Jetzt mit all seiner Schönheit und seiner Tragik, wartet auf uns ein vollkommenes Leben im Jenseits. All unsere Sehnsüchte werden da gestillt werden.

Und welche Hoffnung trägt dich über die Endlichkeit des diesseitigen Lebens hinaus?

Nach den vielen Worten hier ein Lied, das mich bewegt und etwas von dieser Hoffnung ausdrückt:

Tu, was du liebst – liebe, was du tust!

Gestern Abend spät setzte ich mich müde und erfüllt in unseren Garten und hielt noch einen Moment inne. Gerade kam ich zurück vom Sommerfest unserer Kirche; Leute verabschiedet, Material verstaut, das Herz voller Eindrücke.

Beim Reflektieren über das schöne Fest zu Ehren unserer freiwillig Mitarbeitenden und für alle, die sich auf irgendeine Art zu unserer Gemeinschaft zählen, hüpfte mein Herz vor Freude: Einfach schön, was aus diesem zarten Pflänzchen, das sich gms studen nennt, geworden ist.

Und da kam mir in den Sinn, wie ich als junger Pfarrer bei einem ersten Jubiläumsfest unserer Gemeinde Buttons mit dem Slogan «I love my church» drucken liess. Es hat schon damals gestimmt, aber vielleicht war es mehr eine Kopfsache und ich versuchte mit solchen Aktionen die «gms family» zu motivieren … – es gibt viele «To-Do’s», die man als junger Gemeindegründer, der seinen Vorbildern nacheifert, abzuarbeiten hat.

Ich habe noch so einen «I love my church»-Button in meiner Tagebuch-Box, aber sonst sind diese Buttons – und zum Teil leider auch die Menschen, die sie damals erhielten – aus dem gms Alltag verschwunden.

Doch gestern Nacht im Garten fuhr mir der Gedanke durch den Kopf: Dieser «I love my church»-Slogan war noch nie wahrer als gerade jetzt.

Gut möglich, dass dies auch mit dem zu tun hat, was ich am Sonntag predigte: «Es geht mehr um unser Sein als unser Tun! Für viele von uns heisst emotional gesund zu leben und glauben vielleicht einfach einmal unser Leben zu entschleunigen – statt hektischem Tun, kraftvolles Sein. Unsere Gottesbeziehung als echte Kraftquelle entdecken – nicht als Punkt auf unserer To-Do-Liste.» (Die ganze Predigt «Lustvoll statt kraftlos leben und glauben» findest du in unserem Podcast.)

Als Leiter vom gms setze ich heute weniger auf die richtigen «To-Do’s». So sind Missionstatement, Strategien und Motivationssprüche nicht mehr omnipräsent. Das heisst nicht, dass diese falsch sind oder auf unserer Reise falsch waren. Aber irgendwann auf unserem Weg ist der Traum vom gms nicht mehr auf Karten gedruckt worden, sondern er wurde zur Seele unserer Gemeinschaft: Es ist unsere DNA, es ist unser SEIN, dass im gms eine Willkommenskultur spürbar ist und sich unterschiedlichste Menschen wohl und angenommen fühlen.

Die Karriere sausenlassen

Man kann seine Arbeit als Job gegen Geld erledigen. Manchmal wird die Arbeit eine Gelegenheit für eine persönliche Karriere: Arbeit gegen mehr Geld und vor allem Prestige.

Einige von uns dürfen erleben, wie erfüllend es ist, wenn man nicht einfach einen Job erledigt, nicht eine Karriere bastelt, sondern liebt, was man tut – wenn es weniger um den persönlichen Benefit geht, sondern um einen Beitrag zu einem grösseren Gut. Beruf ist nicht mehr bloss Arbeit, Beruf ist Berufung.

Ich gebe zu, ich werde jedes Jahr wieder etwas kribbelig während der Sommerpause: Wenn ich die Leute zu lange nicht «spüre», fühle ich mich wie im luftleeren Raum. Als ich dies während den Ferien unserem Sohn erzählte, berührte er mich liebevoll mit dem Zeigefinger nach dem Motto: «Jetzt spürst du wieder jemanden.»

Letzten Sonntag luden wir dann zum Saisonstart zur erstem Matinée mit der neuen Serie «Emotional gesund leben und glauben» ein. Und sie kamen, die Menschen, sehr unterschiedliche Menschen: Mehr als jemals zuvor an einer normalen gms Matinée. Es gab ganz viel «zu spüren» an diesem Morgen.

Und einmal mehr spüre ich: Eine prestigeträchtige Karriereplanung hätte ganz andere Formen angenommen, aber diese Woche lässt mich tief im Innern spüren: Es hat sich gelohnt, meiner Berufung treu zu bleiben – ich liebe, was ich tue – i love my church.

Noch eine Ergänzung, bevor ein falscher Eindruck entsteht: Diese Woche sprach mich jemand an und meinte, bei uns laufe scheinbar gerade alles rund. Es war mir eine eindrückliche Erinnerung daran, dass Social Media eben nicht alles zeigt. Neben dem, was ich wirklich liebe, erleben wir gerade in mancherlei Hinsicht super-chaotische Zeiten. Das gehört offensichtlich auch zum Leben und auch zu einer Berufung. Doch diese Herausforderungen brauchen einen persönlicheren Rahmen als einen Blog oder Instapost, um sie mit anderen zu teilen.

Und noch ein Nachtrag: Eigentlich wollte ich noch etwas zum Bild in diesem Blog schreiben, weil es zum Ausdruck bringt, was ich am gms so liebe. Aber ich hoffe jetzt, das Bild spricht für sich selbst …

Glücksaufgabe

Kannst du auch sagen: Ich liebe, was ich tue? Wenn nicht, dann beginne doch einfach damit, mehr von dem zu tun, was du liebst.

Was könnte es für dich heissen, mehr zu SEIN als zu TUN?

Und grad noch so eine persönliche Frage: Mit wem teilst du die persönlichen Herausforderungen in deinem Leben?