Seid nützlich!

Bisher bin ich ganz gut ohne KI zurechtgekommen. Naja, vielleicht nahm ich dieser künstlichen Intelligenz auch einfach übel, dass sie mich und mein Glücksbuch vor längerer Zeit einmal nicht wirklich kennen wollte.

Inzwischen habe KI dazugelernt, wird gesagt. Also fragte ich sie, was ich glaube. Mit dem Resultat kann ich grösstenteils leben, jedenfalls wird da keine mir fremde Person beschrieben – auch wenn gewisse Reizthemen etwas gar überhandnehmen, inkl. Vorwürfe meiner Kritiker.

Doch dieser Abschnitt gefällt mir: «Sein Lebensmotto lautet ‘Liebe schenken – Hoffnung verbreiten – Glaube leben’. Gerber entdeckte den christlichen Glauben früh durch seine Eltern und setzt sich für Projekte ein, die Dankbarkeit, Gelassenheit und Freude fördern, auch inmitten von Zweifeln.»

Und auch diesen Satz nehme ich gerne und freue mich, wenn mein Engagement so erlebt wird (ob das eine künstliche Intelligenz beurteilen kann, ist wiederum eine andere Frage): «Seine Arbeit zielt auf zeitgemässe, feierliche Glaubenskommunikation ab, fern von Kontrolle oder Angst.»             

Seit ich predige, war mir ein solcher einladender Stil wichtig. Doch einfach nur «schön & nett» sollte es auch nicht sein. Mit dem, was ich tue und sage, will ich etwas bewegen. Darum darf es gerne auch herausfordern, ja ab und zu vielleicht sogar etwas piksen.

So war es die letzten beiden Wochen spannend zu erleben, was der Titel meiner aktuellen Predigt auslöste: «Wie politisch darfs denn sein?» Teils wurde mir zu verstehen gegeben, dass das kein gutes Thema für eine Predigt sei.

Natürlich steckte auch eine leichte Provokation im Titel, was die Neugier wecken sollte. Und in der Predigt habe ich auch sehr deutlich gemacht, dass ich die Vermengung von Glaube und Politik, wie wir sie derzeit gerade in den USA erleben, höchstbedenklich finde.

Darum geht es mir auch nicht um Parteipolitik und schon gar nicht um einen Gottesstaat. Doch der Mensch ist ein politisches Wesen, der Christenmensch sogar sehr.

Mindestens wenn er dem Vorbild Jesu folgt. Dieser war nämlich höchstpolitisch und leitete seine Zuhörer:innen in der Bergpredigt dazu an, sich als Salz der Erde und Licht der Welt nützlich zu machen.

In diesem Abschnitt in der Bergpredigt benutzt Jesus auch das Bild einer Stadt auf dem Berg. Ich verstehe seine Botschaft darin so: Bei euch gilt eine andere Sozialordnung, hier geht es um eine lebensfördernde Gemeinschaft.

Ja, da sind Menschen auf dem Jesus-Weg unterwegs und suchen nachdem, was das Leben aufblühen lässt. Wir sind aufgefordert, uns für eine bessere, liebevollere und gerechtere Welt zu engagieren – das hat immer auch eine politische Dimension.

Als ich neulich über den «Salz & Licht»-Bibeltext nachdachte, schrieb ich in meine Bibel «Seid nützlich!» und «Kein Schneckenhaus!».

Und da landen wir wieder beim Zitat von Johanna Dohnal, mit dem ich den letzten Blogartikel beendete: «Aus taktischen Gründen leise zu treten, hat sich noch immer als Fehler erwiesen.»  

Und wir landen auch wieder bei der KI-Suche zu meinem Glauben: Wer diesem Jesus nachfolgt, verkriecht sich nicht im Schneckenhaus. Er:sie exponiert sich. Und wer die Würde aller Menschen hochhält, tut im Grunde nur, wozu uns die Bibel und manch Grundgesetze schön längst einladen – und riskiert damit leider noch heute Gegenwind zu ernten.

Glücksaufgabe

Ich bin kein Fan grosser Imperative. Das hat sogar KI gecheckt, wenn sie meine Glaubenskommunikation als «fern von Kontrolle oder Angst» einstuft. Befehle gehören für mich genauso in diese Kategorie.

Trotzdem habe ich heute einen Imperativ als Blogtitel gewählt: «Seid nützlich!» Ich weiss, es kann ein schmaler Grad zwischen «liebevoll-anstupsender Einladung» und einer «druckerzeugenden (Auf)Forderung» sein.

Darum setz ich hier am Ende des Blogs jeweils auch lieber ein ?-Zeichen als ein !-Zeichen.

Doch heute bleibe ich dabei: «Sei nützlich!»

Die erwähnte Predigt kann übrigens in unserem Matinée-Podcast nachgehört werden.

Bilanz zum halben Jahrhundert

Bald werde ich fünfzig. Bin ich deshalb aktuell besonders sentimental?

Jedenfalls sass ich letzten Samstag in Marburg in einer Konferenz und heulte während der ersten Session vor mich hin. Naja, vielleicht ist das etwas übertrieben. Doch die Augen waren immer mal wieder feucht und Tränen kullerten über meine Wangen.

Ich sass im Lokschuppen Marburg, einer Location, die mich durch die Posts und Videos vom UND Marburg bereits in Vergangenheit sehr angesprochen hatte. Das Live-Erlebnis konnte für einmal durchaus mit dem virtuellen Eindruck mithalten.

Das Zusammenspiel einer für mich sehr ansprechenden Location, dem guten Sound und der Tatsache, dass ich hier Teil einer Veranstaltung sein durfte, in der es um Inklusion statt um Verdammung ging, hat mein Herz tief berührt.

Und ja, auch wenn ich kurz davor in meiner Reisegruppe noch bluffte, mein 50. Geburtstag bringe mich nicht sonderlich ausser Balance, war es nun doch um mich geschehen. Der Realitätscheck war knallhart: Was ich hier in Marburg erleben durfte, war Kirche, wie ich sie vor meinem inneren Auge und in meiner Traumvorstellung schon längst sehe und ersehne.

Tatsächlich habe ich mehr als die Hälfte meines bisherigen Lebens diesem Traum verschrieben. Und was ist daraus geworden? Je nach Blickwinkel ganz viel.

Schönes. Gutes. Kraftvolles. Befreiendes. Lebensförderndes. Hoffnungsvolles.

Und doch bleibt es an manchen Stellen ein «Murks». Es ist anspruchsvolle Arbeit, die sich mal um Marketing, mal um Raumgestaltung, dann um knappe Finanzen und Liegenschaftsfragen dreht. Begleitung von Menschen und inhaltliches Wirken kommt da manchmal einfach zu kurz.

Natürlich ist in den hippen Projekten oder gar in Megachurchs nicht alles einfach easy und mega. Im Gegenteil: während bei uns Zehntausende Franken fehlen, sind es dort möglicherweise Millionen.

Und ja, es ist auch ganz vieles gegangen in den letzten Jahren: Wir waren anfangs Jahr mit BUNT GLAUBEN Veranstalter einer fantastischen Konferenz, mehr Menschen tragen Verantwortung, Teams gestalten mit, die Resonanz scheint grösser geworden zu sein …

Trotzdem tauchen sie auf, die Fragen, die wohl ganz automatisch zu dieser Wegmarke mit der 50 drauf gehören: Was ist aus meinen Träumen geworden? Was habe ich erreicht? Wo will ich noch hin? Wie will ich meine nächste Wegstrecke gestalten?

Da gab es letztes Wochenende auch ganz viel Bestätigendes: Ich will an diesem Mix von frischen Formen, weiter Theologie und gemütlichem Ambiente unbedingt dranbleiben. Dabei will ich mich nicht im Kleinklein verlieren, sondern zusammen mit positiven Menschen «etwas Grosses rocken» – selbst dann, wenn es ein kleines, verletzliches Pflänzchen bleibt.

Dazu nehme ich wertvolle Impulse aus der Coming-In Konferenz (veranstaltet vom Verein Zwischenraum) mit. Wie diese Perlen aus meinen Tagungsnotizen:

Wenn wir «Gemeinsam Gemeinde» (Tagungsmotto) sein wollen, sollten wir auf unserer Reise nicht wie die vorne im Van sein, die herablassend über die Mitreisenden hinten im Van reden. Möglicherweise schlafen sie nicht und werden tief verletzt von der Art, wie wir über sie sprechen.

Dieses Bild hat was. Und dazu passt ein weiterer Gedanke von Tabea Wagner: «Stellt Fragen, aber stellt niemanden in Frage!».

Denn (so Lol): «In einer Gemeinde, in der nicht alle sicher sind, ist niemand sicher!»

Vom Workshop mit Damaris vom genialen lev-Gemeindegründungsprojekt bleibt mir besonders dieser Gedanke hängen: «Die Haltung von anderen kann ich nicht machen, ich kann nur immer wieder meine Haltung einbringen.» 

Und Mira Ungewitter habe ich wunderbare Zitate zu verdanken: «Die gerade Linie ist gottlos», habe der Künstler Hundertwasser gesagt. Umgemünzt für unser Wirken gab Mira zu bedenken: «Der Jesus-Weg ist viel verschlungener als so manche Gemeinde-Einbahn!»

Mit einem Zitat der österreichische Feministin Johanna Dohnal ermutigte uns Mira zu beherztem Engagement: «Aus taktischen Gründen leise zu treten, hat sich noch immer als Fehler erwiesen.»

Vielleicht nehme ich das als Motto für meinen nächsten Wegabschnitt.

Glücksaufgabe

Was ist aus deinen Träumen geworden?

Welche gilt es loszulassen und für welche willst du umso beherzter einstehen?

Lass uns das Leben feiern

Heute ist ein Feiertag.
Nein, heute sind viele Feiertage.

Weisst du welche?

Die einen feiern Halloween.
Die anderen den Reformationstag.

Dann gibt es am 31. Oktober auch noch kuriose Feiertage wie den Tag der Türklingel, den Tag der Klopf-Klopf-Witze, den Steigere-Deine-übersinnlichen-Fähigkeiten-Tag, der wohl mit dem heutigen Tag der Zauberei verwandt ist, und natürlich den Schnitz-einen-Kürbis-Tag. Kulinarisch sind heute der Karamell-Apfel-Tag sowie der Grissini-Tag.

Schon deutlich seriöser scheinen mir da der Welttag der Städte und der Weltspartag.

Und was feierst du heute?

Von den allermeisten Aktions- und Feiertagen der obigen Aufzählung habe ich gerade erst erfahren. Halloween berührte mein Herz nie – und ging trotzdem nicht spurlos an mir vorbei, da unsere Kids, als sie klein waren, sich, sagen wir mal, sehr unwohl fühlten mit dieser Tradition. Und Halloween-Spuren gab es auch schon an unserer Location von gms und Happy Kids (Stichwort: Eier am Fenster).

Beim Reformationstag ist das anders, da ist mein Herz voll involviert. Ich wünsche mir eine Kirche, die sich immer wieder reformiert. Die vor allem festhält an der ewiggültigen bedingungslosen Liebe Gottes und den Menschen hilft, mit ihrer «Himmels-Sehnsucht» ein aufblühendes Leben zu gestalten. Eine Kirche, die offen ist für frische Formen und alle Menschen, sich jedoch nicht festbeisst an sturen Regeln, aus der Zeit gefallenen Traditionen und einer pharisäerhaften Bibelinterpretation.

Und dies führt mich zu meinem persönlichen Feiertag: Am 31. Oktober ist auch der Jahrestag vom gms. Heute jährt sich dieser besondere Aktions- und Feiertag, als ich zusammen mit einer Gruppe junger Menschen, «zufälligerweise» am Reformationssonntag, in der örtlichen Mehrzweckhalle zum ersten «Gospel Brunch» einlud, zum 26. Mal.

Eine Gemeinschaft, die mit frischen Formen ihren Glauben und die Liebe Gottes ansprechend feiern und kommunizieren wollte, war geboren. Vieles haben wir ausprobiert, vieles war richtig gut, anderes gelang nicht oder hatte sich mit der Zeit «ausgelutscht». Etliche Herausforderungen blieben und bleiben.

Reformation ist nötig, auch da. Immer wieder.

Traditionen dürfen entstehen – und immer wieder auf ihre Dienlichkeit hinterfragt werden.

Glaube darf wachsen – ohne dabei die Zweifel ausseracht zu lassen.

Projekte dürfen gewagt werden – und müssen immer wieder den Kräften und Gegebenheiten angepasst werden (wie war das mit dem Tag der «übersinnlichen Fähigkeiten»?).

Es darf gross geträumt werden – und in kleinen Schritten umgesetzt werden.

Wenn ich von Kirche träume, träume ich von einer Kirche, die den Menschen dient – und dabei Gott ehrt und in der die beteiligten Menschen aufblühen.

Vieles ist im Wandel. Doch dieser Traum begleitet mich seit bald 30 Jahren. Daran erinnere ich mich an meinem heutigen persönlichen Feiertag.

Wie schön, durfte ich diese Woche in meinem Tagebuch in einem Dankgebet festhalten: Danke, darf ich meine Berufung leben.

Übrigens, Radio SRF 3 feiert heute den ganzen Tag die Musik der 80er Jahre. So wurde ich bereits zu (für mich) früher Morgenstunde mit «Don’t worry, be happy» beschallt.

Eigentlich gar nicht so verkehrt: Mit der richtigen Einstellung kann jeder Tag zum Feiertag werden. Das liest sich bereits in der Bibel: «Für den Niedergeschlagenen ist jeder Tag eine Qual, aber für den Glücklichen ist das Leben ein Fest.»

Und welchen Feiertag feierst du heute?

Glücksaufgabe

Ein ganz besonderer Feiertag gab es diese Woche auch noch für mich: Vor 10 Jahren erschien mein Buch «Glück finden – hier und jetzt».

Ich finde, ganz vieles in diesem Buch ist noch heute sehr aktuell und kann dich darin unterstützen, ein zufriedenes Leben zu gestalten – ohne zu ignorieren, dass im Leben nicht alles einfach «happy» ist. (Hast du schon ein Exemplar?)

Was hilft dir, jeden Tag zu einem guten zu machen?

Gemeinsam falsch

Das war eindrücklich: Vor einigen Wochen war ich zusammen mit meiner Tochter und ihrer Partnerin erstmals bei einem Hiking Sounds Event, dem Wanderfestival der Migros, dabei.

Das war ein schönes Erlebnis – gemeinsam Wandern, Cervelat grillieren, guten Live-Sound geniessen.

Aber nein, der Anlass an und für sich war noch nicht das Eindrückliche. Das war vielmehr ein Phänomen unterwegs beim Wandern. Wir schwitzten uns also am letzten Spätsommertag bei sehr warmen Temperaturen beim Schwarzsee den Berg hinauf.

Irgendwo da oben, hinter der Kuppe muss der Rastplatz mit Bühne und den Cervelats sein. Das war allen klar. Nun kam irgendwer auf die glorreiche Idee, dass der Trampelpfad geradeaus bestimmt schneller zum Ziel führen würde als der breite Weg um die Kuppe herum.

Und so folgten nun alle Wandernden dieser Menschenschlange den Trampelpfad hinauf.

Alle? Nicht alle!

Es gab einige wenige, die das Selberdenken nicht gänzlich aufgaben und so dem eigentlichen Weg folgten. (Und ja, wir gehörten dank dem kritischen Nachfragen – und vehementen Insistieren – meiner Tochter auch zu denen, die sich von der grossen Masse entfernten. Wenigstens nach einigen «Fehltritten» auf dem Trampelpfad.)

An diesem wunderschönen Tag in dieser idyllischen Landschaft wurde ich eindrücklich an eine wichtige Lektion erinnert: Nur weil alle einen bestimmten Weg einschlagen, ist es nicht zwingend der richtige.

(Und liebe fromme Bubble: Manchmal ist selbst der schmale Weg nicht der richtige! Das wurde uns auf diesem gemütlichen, breiten Spazierweg ganz schnell bewusst.)

Diese Situation am Berg war lustig und sie kam mir sofort wieder in den Sinn, als ich diese Tage ein überhaupt nicht lustiges, fiktives Interview im Buch Seit ich tot bin, kann ich damit leben: Geistreiche Rückblicke ins Diesseits von Willi Näf las: Hier wird Lutz Baumgartner, ein SS-Obersturmführer, gefragt, warum er der SS beigetreten sei.

Weil ich jemand sein wollte. … Hitler hat die Löcher in unserer Seele gestopft, und wir sind ihm hinterhergestiefelt. Was waren wir dumm.

Auch intelligente Leute waren Nazis.

Dummheit und Intelligenz sind keine Gegensätze. Es gibt intellektuell ausserordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und intellektuell sehr Schwerfällige, die alles andere als dumm sind.

Das ist eine Frage der Definition.

Keineswegs. Menschen lassen sich von Umständen verdummen. Wo sich eine starke Macht entfaltet, werden sie mit Herdendummheit geschlagen. In der Dynamik der Herde verliert man das selbständige Denken. Wenn alle gleich blöken, hört sich das Blöken plötzlich richtig an. Man sieht nur noch, was alle sehen, und findet nur noch richtig, was alle richtig finden.

Wie wurden Sie herdendumm?

Naja. Erst mal ist man einfach begeistert. Die Menge gibt einem Wärme, man fühlt und findet sich bestätigt. Man wird Teil von etwas Grösserem. Es kommt zu einer Art Selbstabschaltung. Ein dünnes Selbst wie meines vermisst nicht allzu viel, wenn es abgeschaltet wird. Wenn man dann im Kollektiv aufgeht, ist man endlich wer. Und die Anfangskleinsten wollen immer die Schlussgrössten werden.

(Quelle: Willi Näf in Seit ich tot bin, kann ich damit leben: Geistreiche Rückblicke ins Diesseits)

Mich schaudert es ob der ungeheuerlichen Aktualität dieses Textes. Mag sein, dass Gedanken zur Herdendummheit immer aktuell sind. Doch gerade scheint mir, als würde sich dieses Phänomen politisch, gesellschaftlich und religiös in beängstigenden Dimensionen entfalten.

Glücksaufgabe

Wo beobachte ich das Phänomen der Herdendummheit? Und wo stehe ich persönlich in Gefahr, der Masse (ob auf dem breiten Weg oder dem schmalen Trampelpfad) zu folgen und dabei das Selberdenken der Bequemlichkeit zu opfern?

«Bonus-Frage»: Wie stopfe ich die Löcher in meiner Seele?

Ich bin grün – äh, oder gelb?

Was für ein schönes und irreführendes Bild: Da fährt ein unverkennbar traditionell eingefärbtes Postauto (sprich: ein gelber Bus) durch die schönsten Schweizer Landschaften und behauptet per Aufdruck tatsächlich: «Dieses Postauto ist grün».

Unsere Gesellschaft produziert gerade reihenweise Menschen auf der Suche nach ihrer Identität – in einer Multioptions-Welt, in welcher glücklicherweise viele soziale Normative kritisch hinterfragt werden, sind Menschen eingeladen (oder gar gezwungen?), sich selbst zu (er)finden, statt einer bestimmten Norm zu entsprechen.

Doch dass dieser Trend nun auch auf die Postautos überschwappt, kann zu denken geben: Bin ich jetzt gelb? Oder doch grün?

In meiner Predigt «Was ist es dir wert?» der neuen Themenserie «Nice to meet you! – Schön, dich zu sehen!» habe ich über das gute Leben und Werte, die lebenswert sind, nachgedacht.

Einer meiner persönlichen Werte, die ich in der Predigt kurz vorgestellt habe, ist «Transparenz» im Sinn von: Ich bin echt, wahrhaftig, mein Reden und Handeln ist authentisch.  

Doch Transparenz ist für mich deutlich mehr als ein Imperativ. Es ist eben grad nicht mit der Aufforderung zur Authentizität gemacht: «Sei transparent!».

Viele Menschen wären gerne transparent, merken aber, dass ihre Mitmenschen mit der nackten Wahrheit schlicht überfordert – oder mindestens irritiert – wären. Grad wie wenn wir ein gelbes Postauto sehen, das von sich behauptet, grün zu sein.

Darum ist für mich der Wert Transparenz nicht bloss Anspruch an meine Aufrichtigkeit, sondern auch meine Anfrage an mein Gegenüber: Darf ich transparent sein? Darf ich so sein, wie ich wirklich bin? Kannst du damit umgehen, dass ich vielleicht grün statt gelb bin?

Solche «Safe Places», in denen sich alle Menschen sicher fühlen können und unabhängig von Her­kunft, Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung oder anderen Merkmalen in ihrem unkaputtbaren Wert geachtet werden, sind leider selten.

«Die Würde des Menschen ist unantastbar» ist so schnell gesagt, erfährt viel Zustimmung und ist mehrheitsfähig, um in ein Grundgesetz geschrieben zu werden.  Doch im täglichen Miteinander ist es dann doch nicht mehr so einfach: Wir alle haben (normative) Bilder im Kopf, die unser Denken, Fühlen und Handeln prägen.

Ein Postauto ist gelb.
Punkt!

Ein:e Schweizer:in fährt Ski –
und ist neutral.
Punkt!

Ein Mensch ist männlich oder weiblich.
Punkt!

Tatsächlich ist das wirkliche Leben dann doch um einiges komplizierter. Eigentlich spüren wir das auch und können es in unserem Leben oder in unserem Umfeld beobachten.

Ja, die Komplexität bringt einige neue Herausforderungen mit sich und das Leben wird dadurch selbstredend nicht einfacher sondern komplizierter. Trotzdem erlebe ich es als befreienden Fortschritt, dass immer mehr Menschen nicht mehr gewillt sind, sich unkritischen den vorgegebenen Normen zu beugen. Nicht selten sind nämlich genau diese Normen Resultat einer (patriarchalen) Machtstruktur, die gewisse Gruppen oder den einzelnen Menschen kleinhalten wollen.

Darum: Geben wir einander Raum.
Lassen wir doch das Postauto grün sein.

Vielleicht muss ich mich von liebgewonnen Bildern verabschieden. Oft überhöhen und idealisieren wir solche Bilder. Einfach weil sie doch ein so wohlig-warmes Erinnerungsgefühl in uns auslösen: Ach, dieses gelbe Poschi auf der Passstrasse mit dem tü-ta-ta-Klang.

Normen schaffen Identitäten – für die, die dem normativen Mainstream entsprechen.

Aber Normen schaffen auch Identitätskrisen – für alle, die ihnen nicht entsprechen.

Transparenz und Authentizität werden heute (zu Recht) von vielen erwartet. Doch sind wir auch bereit Menschen den sicheren Rahmen zu geben, ihre Identität wahrhaftig zu leben – auch wenn sie von der gängigen Norm abweicht?

Denn: Vielleicht ist das gelbe Postauto in Wahrheit grün.

Glücksaufgabe

Wann hast du dich zuletzt so sicher gefühlt, dass du deinem Gegenüber etwas ganz Persönliches, das vielleicht noch niemand von dir wusste, anvertraut hast?

Wie gut gelingt es dir, normative Bilder loszulassen und Menschen einfach zu nehmen, wie sie sind?  

(Foto-Credits: Peter Hofer)

Dauerhaft geschlossen

Und plötzlich steht da auf Google Maps unter einem Lieblingsort: «Dauerhaft geschlossen». Ein solcher Ort ist die Bar in The Signature Room im 95. Stockwerk des John Hancock Center in Chicago.

Zuerst wurde der Wolkenkratzer vor einigen Jahren umbenannt, und jetzt ist also auch das Restaurant mit der atemberaubenden Aussicht Geschichte.

In diesen Tagen werde ich doppelt wehmütig, wenn ich daran denke: Heute findet in Chicago der Global Leadership Summit statt. Leider ohne mich.

Wie oft waren wir dort, haben die Inspiration aufgesogen, Begegnungen genossen, Grosses geträumt, Familienerinnerungen geschaffen, Freundschaften geschlossen, Beziehungen vertieft, sind in die Grossstadt eingetaucht: Die Skyline vom Wasser aus, die Skyline bei Sonnenuntergang …

Und eben: Die Skyline von oben. Irgendwer hat uns damals vor einem Vierteljahrhundert mit diesem Geheimtipp vertraut gemacht: Kauft kein Ticket für eine Aussichtsplattform, nehmt gratis den Lift in The Signature Room, geniesst dort was zu trinken und erhält die Aussicht geschenkt dazu. (Am besten sei diese übrigens von der Damentoilette aus, sagt frau; ich konnte es leider nicht überprüfen.)

Das Leben entwickelt sich

So gehörte seither zu praktisch all meinen Chicago-Besuchen die rasante Liftfahrt ins 95. Stockwerk vom Hancock dazu.

Ich vermisse es. Die Stadt. Die Begegnungen. Die Willow Freunde. Die Studienreise. Der Summit. Die Willow Gemeinde. Und ja, auch Bill Hybels (ohne schönreden zu wollen, was da nicht schön war).

Dauerhaft geschlossen.

So geht es: Das Hancock Center ist nicht mehr, was es einmal war. Willow ist nicht mehr, was es einmal war. Und ich bin auch nicht mehr, wer ich einmal war.

Entwicklung gehört zum Leben dazu. Manches lassen wir bewusst zurück, anderes wird uns gegen unseren Willen genommen. Wir brechen auf zu neuen Horizonten, mal ganz freiwillig, mal aufgezwungen, weil uns das Leben mit Situationen konfrontiert, die wir uns nie selbst ausgesucht hätten.

«Dauerhaft geschlossen» sind aber nicht nur Restaurants und andere Betriebe auf Google Maps. «Dauerhaft geschlossen» ist auch das, was mir in den Sinn kommt, wenn ich an gewisse Lebensgeschichten denke.

Das ist doch kein Zustand

Da leben Menschen im fortgeschrittenen Alter so gar nicht versöhnt mit ihrer eigenen Biografie. Ihr Leben ist eine Qual, die Mitmenschen kümmern sich zu wenig und überhaupt: Die Welt ist schlecht – und so sündig!

Da hilft nur noch beten – oder sterben.

Aber beides will nicht so recht funktionieren.
Sterben dürfen andere, leben auch.

Und der liebe Gott kümmert sich wohl auch nur um die anderen.

Naja, vielleicht würde Gott ganz gerne helfen: Durch einen Besuch beim Arzt oder Psychologen …

«Dauerhaft geschlossen» – das ist doch kein Zustand! Mensch ist noch da (wie der Eintrag auf Google Maps), aber lebt irgendwie doch nicht mehr.

Ich weiss selbst, dass das Leben nicht immer ein Honigschlecken ist. Es gibt Phasen der Trauer, nachdenkliche Perioden, unsichere Aussichten oder schmerzhafte Erinnerungen. Das alles gehört zum Leben dazu. Und wenn wir es schaffen, uns damit zu versöhnen, kann sich das Shalom-Leben in uns entwickeln.

Manchmal scheint uns unvorstellbar, wie wir neue Lebensfreude gewinnen können, aber «Dauerhaft geschlossen»?
Das wäre Selbstaufgabe.
Exit ohne Exit-Strategie.
Leben, ohne zu leben.
Sterben, ohne zu sterben. 

Das wünsche ich niemandem.

Glücksaufgabe

Sind dir auch schon solche «Dauerhaft geschlossen»-Menschen begegnet? Wo stehst du vielleicht selbst in Gefahr, ein solcher Mensch zu sein?

Wo erhältst du (freundschaftliche oder professionelle) Hilfe im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen?

Und zu guter Letzt: Warum ist dein Leben lebenswert?

Wo Welten aufeinanderprallen

«Wurde da gerade der letzte «Servant Leader» zu Grabe getragen?» kann sich fragen, wer vergangenen Samstag auf Rom blickte.

Es gab eine Zeit, da war dieser dienende Führungsansatz hoch im Kurs – und zwar nicht bloss in sozialen und kirchlichen Kreisen, wo es ja von Natur aus nur so von «Gutmenschen» wimmelt.

Nein, auch CEOs von internationalen Top-Firmen setzten auf diesen Ansatz, bei dem die Führungsperson eine vertrauensvolle und wertschätzende Atmosphäre schafft, in der sich die Mitarbeitenden wohl und unterstützt fühlen, ihre Fähigkeiten und Potenziale entfalten und eigenverantwortlich handeln können und Vorgesetzte dazu da sind, ihre Mitarbeitenden darin zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen. 

Die «Servant Leadership»-Philosophie geht auf den Managementforscher Robert K. Greenleaf und die 1970er Jahren zurück. Tatsächlich haben laut Wikipedia mehrere empirische Studien aufzeigt, dass «der Servant Leadership-Ansatz einen starken Einfluss auf die Jobzufriedenheit der Mitarbeiter:innen» hat.

Natürlich wurde der dienende Führungsansatz nicht erst in den 1970er Jahre erfunden. Das Vorbild einer solchen Führungsperson ist unbestritten Jesus. Er hat die entsprechenden Werte gelehrt und verkörpert: Empathie, starker Gemeinschaftssinn, Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Vertrauen, Zuhören, Wertschätzung, Glaubwürdigkeit …

Er setzte nicht auf beherrschende Machtkonzepte, sondern auf die sogenannten «Soft Skills». Seine Stärke war seine Schwäche, seine Verletzlichkeit.

Jesus, Franziskus & Trump

Weltweit sind alle (Christen)Menschen dazu eingeladen, dem Vorbild Jesu nachzufolgen. Und einer dieser Nachfolger Jesu wurde letzte Woche in Rom zu Grabe getragen. Papst Franziskus verstand sich stets als Diener. Er folgte dieser Jesus-Spur – er machte sich klein und wurde gerade dadurch populär und berührte die Herzen vieler.

Und das hatte Strahlkraft. Solche Strahlkraft, dass Nicole Althaus in der NZZ am Sonntag (27. April 2025) denkwürdige Zeilen über das «Aufeinanderprallen zweier Welten» schrieb:

Franziskus, der sich wie kein anderer Papst der Moderne ein Leben lang für die Schwächsten am Rand der Gesellschaft eingesetzt hatte, ist tot. Platz im Zentrum nahmen nun die Mächtigsten, unter ihnen solche, die Stärke zur Religion erhoben haben.

Als sei das Requiem für den Papst von einem Regisseur aus dem Marvel-Universum inszeniert worden, erwies allen voran Donald Trump, der selbsternannte Auserwählte Gottes, dem obersten Glaubenshüter die letzte Ehre.

Der Mann des Deals verabschiedete sich vom Mann der Demut.
Narzissmus beerdigte die Nächstenliebe.
Masslosigkeit die Bescheidenheit.
Egozentrik die Empathie.

Ja, Papst Franziskus war ein eindrückliches Beispiel eines «Servant Leaders». Durch ihn strahlten Werte wie Nächstenliebe und Demut wieder auf dem Wertekompass auf.

Es schaudert mich, wenn auf der anderen Seite Machthaber dieser Welt – oft sogar als selbsternannte Auserwählte Gottes – genau diese Werte mit ihren Füssen treten.

Statt Mitgefühl zu zeigen, grenzen sie aus.

Statt zu dienen, bedienen sie sich.

Statt zu lieben, beuten sie aus.

Das «Aufeinanderprallen zweier Welten», wie es Nicole Althaus in der NZZ am Sonntag so trefflich formulierte, wurde bereits vor der Zeit Jesus ebenso eindrücklich beschrieben.

Im Buch Hesekiel in der Bibel findet sich in Kapitel 34 eine Gegenüberstellung der selbstherrlichen Hirten mit den dienenden Hirten.

Trump & Co. wollen uns gerade weis machen, es gelte das Recht des Stärkeren und das Leben bestünde aus Deals.

Das ist einfach nicht wahr!

Erst recht nicht, für die, welche sich auf die Jesus-Spur begeben wollen: Unser Held war ein Märtyrer. Der Gottessohn, der aus Liebe zu den Menschen sein Leben gibt und so zum Retter wird.

Und dadurch entspricht er nicht dem gängigen Heldentypus: Jesus suchte nicht Ehre, Macht, Ruhm und die Bestätigung, dass er der Beste ist.

Er zeigte Mitgefühl.

Er diente.

Er liebte.

Und dazu sind auch wir eingeladen!

Glücksaufgabe

Von wem lässt du dich inspirieren?
Für dein Menschsein?
Für dein Führungspersonsein?

Glück im Job?

«Ich träume von einer Welt, in der Träume wahr werden – vielleicht bewerbe ich mich in der Filmindustrie», mit diesen Worten hab ich kürzlich versucht meine Gefühlslage zu beschreiben.

Es ist die Schattenseite des Lebens und Arbeitens als Visionär: Ich stelle mir vor, wie die Dinge in Zukunft sein könnten. Doch die Lücke zur Realität in der Gegenwart bringt den Glauben an die Träume manchmal arg ins Schleudern.

«Träume sind wie Schäume», sagen die einen. Und ich erwidere im Blick auf mein Leben: «Meine Träume haben viel bewegt, durften – wenn auch nicht in ‘voller Grösse’ – an manchen Stellen wahr werden und waren die Gefühlsachterbahn auf dem Weg dahin wert.»

Wären wir alle Visionär:innen, würden wir eine grössere Traumwelt fabrizieren als die Traumfabrik in Hollywood.

Gut, dass es nicht so ist. Doch eines geht uns alle an: Welche Erwartungen haben wir an unseren Job? Ist unser Beruf, vielleicht gar unsere Berufung, da, um uns glücklich zu machen? Oder jobben wir bloss, um unser Leben(sglück) zu finanzieren?

Für mich kann ich mir ein Job ohne Erfüllung, ohne Sinnstiftung schlicht nicht vorstellen. Und so ist auch klar, dass ich mich mit der sogenannten resignativen Arbeitsplatzzufriedenheit sehr schwertue. Aber muss es für alle so sein? Ist es nicht auch ein unheimlicher Druck, wenn Beruf immer auch gleich Berufung sein muss? Was ist mit all den Jobs, die einfach von irgendjemandem erledigt werden müssen?

«Wir glauben, dass unsere Arbeit uns immer erfüllen muss.»

Dieses Zitat vom Psychotherapeuten Claas Lahmann stand neulich in grossen Lettern im «NZZ am Sonntag Magazin» und weckte sofort mein Interesse.

Und tatsächlich brachte das Interview mit dem Experten zu Arbeitsgesundheit einige sehr interessante Erkenntnisse zutage:

Laut Lahmann muss uns unsere Arbeit nicht immer glücklich machen, aber es gibt einige Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit unser Job ein gesundes Arbeiten ermöglicht.

Als erstes wird der eigene Gestaltungsspielraum (Anforderung und Autonomie) genannt: Was kann ich hier bewegen, selbst gestalten?

Ein zweites Prinzip ist ein gutes Verhältnis von Geben und Nehmen: Was bekomme ich hier alles? Und was investiere ich?

Da wir äusserst empfindlich auf Ungerechtigkeit reagieren, ist ein weiteres wichtiges Prinzip die Gerechtigkeit: Werden hier alle Leute fair behandelt?

«Aber das kraftvollste der vier Prinzipien», sagt Claas Lahmann im Magazin-Interview, «ist das der psychologischen Sicherheit.»

Fühle ich mich gesehen, wertgeschätzt und aufgehoben? So dass ich mich traue Fragen, Ideen und auch mal Kritik einzubringen? Beste Ideen gehen verloren, weil sie nicht geäussert werden (dürfen). Ganze Unternehmen geraten arg in Schieflage, weil keine:r da ist, etwas in Frage zu stellen.

Mir gefallen diese Ansätze sehr gut, weil sie einerseits zu dem passen, was ich schon vor 25 Jahren auf Leadership-Konferenzen bei Willow Creek hörte, und anderseits ist es genau das, was wir als gms seeland versuchen: Begegnungsorte zu schaffen, die für unterschiedlichste Menschen zu «Safe Places» werden. Orte, wo sie sich gesehen, wertgeschätzt, angenommen und geliebt fühlen.

Doch wie schaffen wir das? Am Arbeitsplatz? In der Kirche?

Sind da immer nur die Führungskräfte, Chefs und Pfarrers dafür zuständig. Natürlich haben die eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, die Kultur zu prägen.

Doch auch wenn sie dieser Aufgabe nicht gerecht werden, gibt es laut Lahmann noch Hoffnung: «Veränderung beginnt immer bei dem ersten Menschen, der etwas verändert.» Wenn es mir wichtig ist, dass sich das Klima (am Arbeitsplatz, in meiner Gruppe, in der Kirche …) verändert, kann ich in kleinen Schritten in meinem nächsten Umfeld die Veränderung sein.

Eine Anekdote aus dem gestrigen Talk mit Florian Wüthrich bei «Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott» beweist, dass dies tatsächlich möglich ist: Er erzählte, wie eine Mitarbeiterin im Lokalradio ab dem ersten Tag die Stimmung im Team veränderte.

Eine Person kann den Unterschied machen – und so vielleicht den entscheidenden Beitrag leisten, damit Träume wahr werden.

Bist du diese Person?

Glücksaufgabe

Auf dem Buchdeckel meines aktuellen Tagebuchs steht «If you can dream it, you can do it.» (Wenn du es träumen kannst, kannst du es tun.)

Ich weiss selbst, dass dieses Zitat aus dem Hause Walt Disney in die Kategorie «schöne Kalendersprüche» gehört und nicht immer hilfreich ist.

Und trotzdem: Wo kann ich dazu beitragen, dass Träume wahr werden?

Wie glücklich sind wir denn heute?

Hast du es gemerkt? Gestern war es wieder so weit: Der internationale Tag des Glücks wurde begangen. Und wie glücklich warst du gestern, bist du aktuell?

Mein Tag startete nach einer, wegen nächtlicher Diskussion und frühmorgendlichem Gedankenkarussell, viel zu kurzen Nacht. Kein optimaler Start in den Glückstag.

Doch unverhofft kam es am Frühstückstisch zu einer witzigen Unterhaltung, die uns von YB-Fans via woke Themen über das trumpische Patriarchat und weissen Männern zum Samichlous führte. Was für ein Glücksmoment: ernsthaft und humorvoll diskutieren als Familien-WG.

Dieser kurze Moment hat mich grad unheimlich dankbar gemacht, ja, glücklich gemacht. Trotz grossen Baustellen (um nicht schon wieder das Wort Krisen zu gebrauchen) in der grossen weiten Welt und in meiner kleinen Welt, gibt es diese unbeschwerten Augenblicke.

Diese paar Minuten am Frühstückstisch blieben die schönsten des Tages. Doch das Nebeneinander von empfundenem Glück & Freude und Trauer & Ohnmacht zog sich bei mir wie ein roter Faden durch den Glückstag: Ermutigende Nachrichten von Herzensmenschen hier, quälende Zukunftsfragen dort. Aus dem UG meines Arbeitsplatzes ist fröhlicher Kinderlärm der GschichteChischte (Happy Kids) zu vernehmen, während mich telefonisch die Todesnachricht eines Teilnehmers einer kürzlichen Gesprächsgruppe erreicht. Es folgen schöne Interaktionen mit drei Generationen an der wunderBar, später erfahre ich von der Erschöpfung eines Freundes.

Den Nachmittag lasse ich mit Sonne im Garten ausklingen und da blitzt ganz kurz inmitten von herausfordernden Gedanken wieder etwas Humor auf: Der Blick meiner Frau trifft auf ein Inserat eines Bestatters. Sie liest: «Natürlich. Erholsam. Originell.» – Was eigentlich dort steht: «Natürlich. Einfühlsam. Originell.».

Am Abend blicken wir an einer Vereinsversammlung dankbar auf Vergangenes zurück und fragend voraus.

Und so merk ich am Glückstag, wie sehr das stimmt, was zwei Tage zuvor die Psychiaterin, Autorin und Speakerin Esther Pauchard zum Thema Resilienz unterhaltsam und treffend ausführte: «Glück ist keine Konsequenz von äusseren Umständen, sondern eine persönliche Entscheidung. Selbst die Verantwortung übernehmen für das eigene Glück.»

Wie wichtig, nicht selten jedoch auch herausfordernd, es ist, diese Selbstverantwortung zu übernehmen, die Opferrolle hinter sich zu lassen und stattdessen das eigene Leben und damit das eigene Glück zu gestalten, habe ich hier im GlücksBlog und natürlich auch in meinem GlücksBuch beschrieben.

Und darum stimme ich voll und ganz mit Esther Pauchard überein, wenn sie daran erinnert: «Das schafft man nicht einfach so auf Knopfdruck. Es ist keine einmalige Entscheidung, sondern ein lebenslanger Prozess. Der sich aber lohnt.»

Wenig überraschend betonte Pauchard die Dankbarkeit als hilfreiche Ressource auf dem Weg zu mehr Glück im Alltag. Und gleich eine weitere meiner 16 Glücksaktivitäten nennt sie: Genuss. Die Wichtigkeit, Kleinigkeiten wie die Blume am Wegrand zu entdecken.

Nicht explizit aufgeführt bei mir ist die dritte Anregung von ihr: Humor. Dafür hab ich genau das am diesjährigen Glückstag erlebt: Humor hilft, in den Herausforderungen des Alltags die Leichtigkeit nicht zu verlieren.

Die Psychiaterin schliesst ihr beeindruckendes Referat mit der Einladung, als Seiltänzer:in flexibel durch die Welt voller Schönheiten und Grausamkeiten zu balancieren. Weil beides zum Leben gehört und weil wir bereits verloren haben, wenn wir die Stürme des Lebens mit aller Kraft vermeiden wollen. Denn: Sie fragen nicht, sie kommen einfach.

Glücksaufgabe

Und was unternimmst du, damit du nicht nur am Tag des Glücks zufrieden bist und bleibst?

100fach dankbar

Gestern durften wir im preisgekrönten Format Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott den 100. Talk-Gast in Studen begrüssen. Das sind 100 spannende Lebensgeschichten, 100 individuelle Lebensentwürfe, 100 Gründe für Dankbarkeit.

Bis auf zwei Talks (einmal war ich krank und einmal waren Brigä & ich selbst die Talk-Gäste und wurden von Ladina Spiess ausgefragt) durfte ich all diese spannenden Gespräche moderieren.

Zeit also, zu fragen, was von all diesen Talks bleibt.

Für mich persönlich ganz einfach die schöne Erfahrung von dem, was ich Flow nenne oder wie ich es gerade diese Woche bei Marcus Buckingham in einem Podcast hörte: Erfolgreiche Menschen tun das, was sie lieben.

Dabei war meine Aufgabe nicht immer einfach: Die «härteste Nuss» war (mit Abstand) der pensionierte und wortkarge Notar. Auf die Frage nach schönen Kindheitserinnerungen meinte er, da gäbe es eigentlich nichts. Selbst der professionelle Moderator im Publikum sagte nach dem Abend, er hätte nicht mit mir tauschen wollen. (Fun Fact am Rande: Aus diesem harzigen Start entwickelte sich eine schöne Bekanntschaft mit besagtem Notar.)

Herausfordernd erlebte ich auch die Talks mit Menschen, die (noch) keine grösseren Brüche in ihrem Leben hatten. Da waren beispielsweise die die junge, immer fröhliche Radiomoderatorin oder auch Stefan Zürcher, Bischof in der Methodistenkirche (EMK), der natürlich grosse Herausforderungen kennt, aber auch sagen konnte, dass er keine grossen Brüche in seinem Leben erfahren hatte.

In eine andere Richtung gefragt, war ich als Moderator dann, wenn mein Talk-Gast emotional wurde und sich gar Tränen ihren Weg bahnten. Das sind immer wieder sehr intime und intensive Momente, die es gilt, nicht zu zerreden, sondern einfach zuzulassen, was ist. Oft sind es gerade solche Gesprächsmomente, welche die Besucher:innen besonders berühren. Zum Beispiel als Christine & Gody Grogg erstmals öffentlich von ihrer Ehekrise berichteten.

Für mich als Talkmaster sind besonders schöne Momente, wenn ich meine Talk-Gäste dazu bringe, dass sie gerade selbst etwas entdecken («Das habe ich mir noch gar nie überlegt.») oder Promis sagen, dass wären sie noch nie gefragt geworden.

Während Corona stellten wir für einige Zeit auf ein online «Mini-Chäs»-Format um. Und in besonders schöner Erinnerung bleibt, als wir im zweiten Corona-Sommer drei Openair-Ausgaben durchführten. Unter anderem mit dem Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg, welcher uns direkt Auskunft zur Pandemie und vor allem zu seinen Herausforderungen damit geben konnte.

Ein weiterer Promi war der NHL-Eishockeyprofi JJ Moser – der Talk mit Janis gehört nach wie vor zu den meistgehörten in unserem Podcast. Weitere mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Sport und Wirtschaft erzählten im «Chäs» offen aus ihrem Leben.

Doch die Idee des Konzepts ist eben gerade, dass jede Lebensgeschichte es wert ist, erzählt und gehört zu werden – Promi hin oder her. Jede Geschichte ist spannend, oft auch überraschend. Darum holen wir auch immer wieder gerne Menschen aus unseren Dörfern auf die Bühne wie Margrit, Theres, Rémy, Monique oder Karin.

Bei der Auswahl der Gäste muss ich etwas aufpassen, nicht zuviele Pfarrkolleg:innen und Theolog:innen einzuladen. Doch gerade auch die Talks mit Christine Schliesser, Martin Benz, Sabine Herold und natürlich unvergessen Torsten Hebel (der mit Abstand meistgehörte Talk im Podcast) haben viele Menschen sehr inspirieret.

Und von wegen Folgenrangliste: Der Februar-Talk von diesem Jahr folgt bereits jetzt auf dem zweiten Platz nach Torsten Hebel. Die (Liebes)Geschichte von Eva Kaderli & Sara Folloni berührte live viele Menschen und berührt nun online weiter.

«Wer soll der 100. Talk-Gast sein?» haben wir uns lange gefragt. Die Wahl ist auf Zsolt Balkanyi, Rektor Jüdische Schule Zürich und mein «jüdischer Freund» aus der Armeeseelsorge, gefallen. Erstmals wurde eine Lebensgeschichte nicht aus christlicher Perspektive erzählt – eine Horizonterweiterung für die Besucher:innen war garantiert.

Zsolt sagte: «Es gibt eine dramatische und eine hoffnungsvolle Perspektive meiner (Lebens)Geschichte.» Damit deute er an, dass es darauf ankommt, wie wir das, was uns widerfährt, deuten.

Und was habe ich persönlich aus all diesen Geschichten gelernt?

Vor allem, dass mensch mit Dankbarkeit, Gelassenheit, Freude und Liebe – gerade auch trotz krassen Schicksalsschlägen wie zB die Geschichte von John Decker – besser durchs Leben kommt, als mit Kontrolle, Dramatisierung oder fixen Vorstellungen.

Anfangs hat mich überrascht, dass das Leben meiner Talk-Gäste viel weniger einem Masterplan folgte, als es vielleicht gerade bei erfolgreichen CEOs wie Markus oder Werksleitern wie René zu erwarten wäre. Oft taten die Menschen einfach das, was ihnen «vor die Füsse» geworfen wurde und so entwickelte sich eine spannende Lebensgeschichte.

Glücksaufgabe

Falls du dich auch gerne von Lebensgeschichten inspirieren lässt: Höre gerne in unseren Podcast rein oder besuche das Chäs, Brot, Wy – und mini Gschicht mit Gott live in Studen.

Und was lernst du aus deiner und anderen Lebensgeschichten?

Übrigens: Ein Glücksmoment für mich war natürlich, als das Format mit dem Verkündigungspreis ausgezeichnet wurde. Wie schön, wenn das, was mensch liebt und mit Leidenschaft tut, noch solche Anerkennung erhält.