Schweizer lieben Durchschnitt

Eine über die Gleichheit der Chancen hinausgehende Gleichmachung der Menschen ist die höchste Ungerechtigkeit.
Karl Jaspers 

Das war mal wieder klassisch. Kürzlich an einer gemeinsamen Sitzung von Schweizern und Deutschen hiess es von Seiten unserer nördlichen Nachbarn: „Bei euch in der Schweiz fehlen einfach die grossen Namen. Wir brauchen bekannte Köpfe!“

Der deutsche Ruf nach grossen Namen vernahm ich nicht zum ersten Mal. Es ist mir schon öfters aufgefallen, dass bekannte Köpfe in Projekten mit deutscher Beteiligung eine grosse Bedeutung spielen. Auffallend ist auch, dass wir Schweizer uns eher schwer damit tun, diese „Schwergewichte“ zu liefern.

Haben wir denn keine grossen Namen oder verstecken wir unsere „Schwergewichte“ einfach zu gut hinter unseren hohen Bergen? Oder ist es gar so, dass wir uns dagegen wehren, dass grosse Namen aus der Masse herauswachsen?

Wo sind die grossen Namen?

Ich vermute zunehmend, dass das Letztere unsere Schweizer Eigenart ist: Wir lieben die Neutralität, das Kollegialprinzip, den Durchschnitt und ja, wohl sogar die Bedeutungslosigkeit. Wobei sich genau hinter dieser auch unser Stolz versteckt: Natürlich wollen wir selbst als kleines Land weltweit führend sein und grosse Bedeutung haben. Nur sagen würden wir dies niemals!

Ein guter Schweizer würde seine Ambitionen niemals offen legen – schliesslich ist es selbst bei Aspiranten für unsere Landesregierung ein Tabu, zu sagen, wenn sie ernsthaft Interesse an einem solchen Mandat haben. Nein, wir streben die Beförderung nicht an, wir erleiden sie: „Wenn das Volk will, dann stelle ich mich zur Verfügung.“

Ich als Teil des Volkes möchte aber nicht von Menschen regiert werden, die ihr Amt nur erleiden, die sich bloss dem Volkswillen beugen. Mein Vertrauen hat, wer glaubwürdig aufzeigen kann, dass er in diesem Amt seine Berufung gefunden hat.

Was ich bei der Landesregierung vermisse, fehlt mir auch im gesellschaftlichen Alltag: Wo sind die Leute, die hinstehen und sagen, was sie wollen, wofür sie sich einsetzen, was ihre Leidenschaft ist. Menschen, die etwas bewegen wollen und nicht nur durchschnittlich mit der Masse schwimmen.

Ja, auffallen, sich ein- und damit aussetzen ist nicht unbedingt eine Schweizer Tugend. Leider! Denn: Um alles schön durchschnittlich zu halten, müssen wir einander gegenseitig klein machen. Wenn keiner auffallen darf, stehen wir in Gefahr, einander herunter zu drücken. Oder wie es Fritz Peyer und Urs Bärtschi schon vor Jahren ausgedrückt haben: In der Schweiz wird ein Grashalm, der etwas höher wächst, abgeschnitten und gestutzt, damit wieder alle Gräser die gleiche Länge haben.

Schade eigentlich. Ich bin nämlich überzeugt, dass wir alle höher hinaus wachsen würden, wenn wir es zulassen könnten, dass Leadertypen zu „Schwergewichten“ heranwachsen und ohne falsche Scham hinstehen und sagen dürften: „Hier bin ich. Diese Verantwortung übernehme ich gerne. Ich werde mich voller Leidenschaft dafür engagieren und meine Berufung ausleben!“

Ich wünsche mir von uns Schweizern, dass wir lernen, uns gegenseitig zu feiern, den anderen zum Stern zu machen – statt den ewigen Durchschnitt zu zelebrieren und zementieren.

 

KONKRET

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich “Gesellschaft“.

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